"Lokale Militärbehörden waren gegen meine Aktivitäten"

Bericht von Paul Ssentongo, Uganda

Bereits 2008 trafen wir einige Flüchtlinge aus Uganda. Sie schilderten uns ihre Beweggründe zur Flucht. Paul Ssentongo berichtet über die Rekrutierung von Minderjährigen, gegen die er in Uganda aktiv geworden war. (d. Red.)

Mein Vater war bei der Armee, der Uganda People Defense Force (UPDF - Volksverteidigungsstreitkräfte Uganda). Das war der einzige Job, den die Regierung ihm damals anbieten konnte. 1994 wurde er vom Zentrum Ugandas in den Norden verlegt, wo gegen die Lord Resistance Army gekämpft wurde.

1998 kamen eines Tages Soldaten zu uns und sagten, dass er von Rebellen getötet worden sei. Sie brachten später den Sarg und wir beerdigten ihn. Wir lebten dann alleine mit unserer Mutter. Wegen dem Verlust, der großen Belastung und der Armut starb sie fünf Monate später. So kamen wir zu unserem Großvater.

Als mein Vater beerdigt wurde, hatte uns ein Offizier versprochen, uns finanziell zu unterstützen. Sie boten an, meine beiden Schwestern, Zwillinge, in einer Schule unterzubringen. Wir dachten, sie würdem nun in eine Schule kommen und so verließen sie uns.

Es gibt in Uganda einen großen Zusammenhalt in den Familien. So ging mein Großvater los, um meine Schwestern aufzusuchen. Er kam dort hin und stellte fest, dass es dort keine Schule gab. Es war ein Bürohaus der Regierung. Er wollte meine Schwestern zurück zur Familie holen. Aber das wurde ihm verweigert.

Eine Woche später kam eine Frau von der Regierung zu uns. Sie sprach mit meinem Großvater, um ihn zu beruhigen und zu sagen, dass alles in Ordnung sei. Aber er war nicht damit einverstanden.

Später wurde uns mitgeteilt, dass meine Schwestern einen Unfall mit einem Schulbus erlitten hätten. Mein Großvater war bereit dies zu akzeptieren. Aber er wollte die Körper sehen, bevor sie beerdigt würden. Das ist auch ein Teil der Beerdigungszeremonie in Uganda, um den Toten den letzten Respekt zu erweisen. Es wurde uns jedoch untersagt, den Särge zu öffnen.

Weil sie uns untersagten, die Särge zu öffnen, waren wir uns sicher, dass irgendetwas nicht stimmte. Es gab Informationen darüber, dass Minderjährige zum Militär rekrutiert wurden, so dass wir davon ausgehen mussten, dass dies auch im Falle meiner Schwestern geschehen war. Das war für mich der Anlass, dass ich von diesem Moment an gegen die Rekrutierung von Minderjährigen in die UPDF kämpfen musste. Von da an war ich politisch aktiv.

Ich wurde Mitglied der Demokratischen Partei. Ich erhielt von der Partei Informationen zur Rekrutierungspraxis und auch finanzielle Unterstützung, um dazu zu arbeiten. In ging in Clubs, in denen Teenager herumhingen. Ich ging zu Fußballspielen. Überall informierte ich über die Partei und warb für sie.

Auf lokaler Ebene startete ich eine Petition gegen die Rekrutierung von Minderjährigen. Ich sammelte Unterschriften in mehreren Orten (Buddo, Rubanga, Mulago, Kyebando) und bekam auch jeweils 150 oder 200 zusammen. Ich organisierte lokale Treffen. Ich wollte auf die örtlichen Einheiten der Armee einwirken, dass sie die Rekrutierung von Minderjährigen beenden. Ich ging mit den Unterschriften zu deren Büro und übergab sie dort. Das machte ich in verschiedenen Orten. Die Antwort, die sie mir mit einem Brief mitteilten, war, dass ich meine Aktivitäten einstellen solle. Aber ich kümmerte mich nicht darum, schließlich war mir dies besonders wichtig. Ich musste es tun.

Eines Tages erhielt ich einen Brief, das ich an einer Konferenz von Save our Children zu Kindersoldaten teilnehmen solle. Ich organisierte ein Team, um zur Konferenz zu fahren, um über unsere Sicht und Erfahrungen zu sprechen. Als ich auf der Konferenz meinen Beitrag hielt, wurde ich mittendrin von einem Kollegen angerufen. Er berichtete mir, dass die lokalen Militärbehörden gegen meine Aktivitäten seien. Er hatte zufällig ein Gespräch von Soldaten mitbekommen, die sich außerhalb des Konferenzortes aufhielten. So musste ich meine Rede abbrechen. Ich ging auf die Toilette und floh aus dem Fenster. Ich ging in Mpigi zunächst zur Jugendorganisation der Demokratischen Partei, wo ich aber nicht länger bleiben konnte. Ich hätte auch sie in Schwierigkeiten gebracht.

Nach drei Tagen musste ich nach Kenia gehen. Ich erklärte dort einem Vertreter der Partei meine Situation. Er arbeitete dort als Geschäftsmann. Er bot mir an, für ihn als Assistent zu arbeiten. Dafür müsse ich auch ins Ausland. Auf meine Entgegnung, dass ich gar keinen Ausweis habe, sagte er, dass er sich darum kümmern würde. Ich gab ihm wohl ein Foto von mir.

Im März sagte er mir, wir würden fahren. Er holte mich um acht Uhr morgens ab. Gemeinsam fuhren wir zum Flughafen. Er hatte sich um alles gekümmert, zeigte mir den Ausweis und flog mit mir nach Frankfurt.

Nach der Einreise erklärte er mir, ich solle ihm den Ausweis wieder zurückgeben. Er wolle nun Tickets für den Zug kaufen und ich möge auf ihn warten. Nach einiger Zeit bekam ich Hunger und bat die Leute um mich herum, mir etwas zu geben. Schließlich kam ein Schwarzer, den ich auch fragte. „Woher kommst Du?“, fragte er mich. „Aus Uganda.“ „Was machst Du hier?“ Ich erzählte es ihm. Es war schon spät und er erklärte sich dann bereit, mir einen Platz für die Nacht zu zeigen. Er brachte mich zu seinen Brüdern. Von dort brachte er mich am nächsten Tag zur Asylunterkunft.

Bericht von Paul Ssentogo, 31. Juli 2008. Übersetzung und Bearbeitung: Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2010

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