Eritrea: "Die Bevölkerung wird als Geisel gehalten"

Interview

von Amerikanisches Team »Freiheit für Eritrea«

Das Amerikanische Team »Freiheit für Eritrea« war tief betroffen, von den Massakern an Jugendlichen durch das eritreische Regime zu hören. Das war Anlass für uns, verlässliche Quellen für die Ereignisse zu suchen. Glücklicherweise konnten Mitglieder unseres Teams mit zwei Eritreern sprechen, die kürzlich in die USA kamen. Einer von ihnen hatte die Möglichkeit, als Einwanderer in die USA zu kommen. Im folgenden berichtet er über seine Erfahrungen im Zusammenhang mit der Reise in die USA. Aus Sicherheitsgründen ist das Interview anonymisiert.

Willkommen in den USA. Wie fühlt es sich an, nun hier zu sein?

Es ist zu früh, um eine Einschätzung abzugeben und es gibt für mich noch keine Maßstäbe, das Leben hier mit dem in Eritrea zu vergleichen. Aber lassen Sie mich einen Punkt nennen. In Amerika fragt Dich niemand, wohin Du gehst, ob es Nacht oder Tag ist. So lange man das Gesetz beachtet und sich richtig verhält, gibt es keine Bewegungseinschränkung. In Eritrea müssen alle Personen zwischen 18 und 54 Jahren, bei Frauen zwischen 18 und 27 Jahren, einen Passierschein vorzeigen und ihn immer bei sich tragen. Wenn ihn jemand nicht vorzeigen kann, wird er oder sie sofort verhaftet und nur Gott weiß, wo das endet.

Was ist das für ein Papier?

Wie jeder weiß, wurde die eritreische Bevölkerung seit dem Krieg mit Äthiopien um die Stadt Badme für die teuflischen Handlungen der Regierung als Geiseln gehalten. Insbesondere die Jugend ist Opfer dieser Situation. Sie werden zwangsweise für den sogenannten Nationaldienst rekrutiert. Wenn sie einmal bei der Armee sind oder im Staatsdienst stehen, dürfen sie sich nicht mehr ohne einen Passierschein von Ort zu Ort bewegen, der vom Verteidigungsministerium ausgestellt wird. Das Ziel dieser Bescheinigung ist, die Aktivitäten der Bevölkerung im entsprechenden Alter zu kontrollieren und sicherzustellen, dass jeder in diesem Alter der Regierung dient.

Sie sind auch in diesem Alter. Hatten Sie einen Passierschein und wie konnten Sie das Land verlassen?

Ich hatte eine Bescheinigung, dass ich untauglich bin. Deshalb brauchte ich keinen Passierschein. Aber als ich später die Chance bekam, nach Amerika zu gehen, erklärten sie mir, dass ich beim Verteidigungsministerium vorstellig werden müsste, um eine Genehmigung dafür zu erhalten. Ich wurde in ein Militärlager geschickt, wo viele Jugendliche (im Alter zwischen 18 und 35 Jahren) im Gefängnis schmachteten. Ich wurde nicht inhaftiert, aber es wurde angeordnet, dass ich erneut gemustert werden sollte, um nachzuweisen, dass ich untauglich bin. Das war ein langwieriger Prozess, so dass es mit meiner Reise nach Amerika eng wurde und ich zügig handeln musste. Mir lief die Zeit davon und umso länger das dort dauerte, umso weniger wahrscheinlich war es, dass ich nach Amerika kommen konnte. Daneben gab es auch keine Garantie, dass eine ordentliche Musterung stattfand. So entschied ich mich, die Grenze zum Sudan zu überqueren. Es dauerte ungefähr zehn Tage, um nach Khartoum zu kommen. Nachdem ich dort eine Weile geblieben war, musste ich in ein anderes Land gehen, um zur US-Botschaft zu kommen. In weniger als einer Woche erhielt ich mein Visa und so bin ich hier.

Gab es nicht die Idee, mit Hilfe von etwas Geld eine Musterungsbescheinigung in Asmara zu erhalten?

Sie wissen, dass heutzutage Geld in Eritrea alles bewegen kann. Wenn man den richtigen Mittelsmann findet, gibt es eine Chance dafür, alles zu bekommen, was man braucht. Die können alles für jeden arrangieren, wenn man entsprechend zahlt. Aber es ist notwendig, enge Freunde oder Verwandte von Regierungsangehörigen zu kennen. Solche Dinge brauchen eine Weile und in meinem Fall gab es ja den zeitlichen Faktor. Es ist unserer Bevölkerung nicht verborgen geblieben, dass die eritreischen Regierungsangehörigen hinter Geld her sind. Es sieht so aus, als ob sie kapieren, dass es einen Wandel geben wird. Jeder ist wie verrückt danach, so viel Geld wie möglich anzuhäufen, bevor es zu spät ist. Dieser Wettstreit sorgt dafür, dass es bei den zivilen Mitwirkenden Tote gibt, wie bei Fikre und Samson.

Welche Erfahrung haben Sie bei der Überquerung der Grenze in den Sudan gemacht?

Zunächst einmal, ich hoffe, dass die Welt weiß, dass Tausende wegen der Politik und Brutalität des Regimes nach Dschibuti, Äthiopien, Jemen, Saudi-Arabien und in den Sudan geflohen sind. Einige dieser armen Seelen sind sogar in viele andere Länder gegangen, die nicht direkte Nachbarn von Eritrea sind, zu Lande oder zu Wasser. Sie sind heute in Ägypten, Israel, Uganda und Kenia zu finden. Manche hatten bittere Erfahrungen bei der Durchquerung der Sahara und des Sinai machen müssen. Und viele andere kamen nach der Überquerung des Mittelmeeres nach Europa. Wie hart es auch immer war, die Glücklichen erreichten Länder des Friedens, Gesetzes und der Freiheit. Aber einige der Länder, einschließlich Ägyptens, Libyens und Malta haben sich unmenschlich verhalten und EritreerInnen wieder abgeschoben – zurück zu dem widerwärtigen Regime.

Eritreern droht nicht nur die Abschiebung. Viele riskieren auch ihr Leben. Manche werden von den Sicherheitskräften der People’s Front for Democracy and Justice (PFDJ) gefangen genommen und verschwinden. Niemand weiß, wo sie sind. Das schlimmste ist, dass einige an der Grenze erschossen wurden. Schon seit längerer Zeit hat die Regierung angeordnet, dass auf alle geschossen werden soll, die über die Grenze zu gehen versuchen. Das war das empörendste für mich, als ich in den Sudan ging. Nachdem ich den Sudan erreicht hatte, traf ich andere, die über andere Wege dorthin gekommen waren und wir tauschten uns aus über unsere Strapazen und Risiken.

Einige erzählten so heftige Geschichten, dass sie kaum zu glauben sind. Das schlimmste war, die Toten (Frauen und Männer) an der Grenze zurück lassen zu müssen. Sie bleiben dort liegen und dienen den Hyänen als Fraß. In manchen Fällen drohte den Flüchtigen, von wilden Tieren angefallen zu werden, wenn sie versuchten, andere Wege zu gehen, um den Sicherheitskräften des Regimes zu entgehen. Wenn sie sich in der Wildnis verstecken müssen und es zu lange dauert, weil die Wege zu riskant sind, droht ihnen auch das Essen und Wasser auszugehen. Die Grenze zu überqueren ist ein Kampf, sowohl gegen die PFDJ als auch gegen die Bedrohungen der Natur.

Wenn es so riskant ist, warum sollten die Menschen Eritrea verlassen?

Die meisten Menschen stimmen darin überein, dass die eritreische Unabhängigkeit verraten wurde und das Versprechen von einer lang erwarteten demokratischen Regierung von der an der Macht befindlichen Gruppe gebrochen wurde. Unsere Bevölkerung steht unter einem grausamen, unterdrückerischen Regime, dass sogar schlimmer ist, als die externen Mächte, die das Land in den Zeiten des Kolonialismus beherrschten. Es ist eine Regierung, die die eigene Bevölkerung absichtlich hungern lässt. Es ist eine Regierung, die Ländern und Organisationen den Zugang verwehrt, die bereit sind, dem Land mit Essen und anderen lebenswichtigen Dingen zu helfen. Es ist ein Regime, dass willkürlich tötet und inhaftiert. Es ist ein Land, das von einer Laune des Diktators regiert wird. Das Sicherheitssystem ist so eng gefasst, dass sogar Äußerungen gegen das Regime als Hochverrat angesehen werden. Deshalb kann die Bevölkerung das Regime nicht akzeptieren. Da es unmöglich ist, eine andere Meinung zu vertreten und es keinen Raum gibt, innerhalb des Landes gegen das Regime zu kämpfen, ziehen es die EritreerInnen vor, das Land zu verlassen und von außen zu tun, was sie tun können.

The America Team for Freedom for Eritrea: An Eye Witness from Eritrea, Interview #1. 16. Februar 2009. http://www.freeeritrea.org/files/EyeWitnessReport-1.pdf. Übersetzung: Rudi Friedrich

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