Gemeinsame Erklärung der Verweigerer an das türkische Konsulat

(10.10.2003) An

Das Türkische Generalkonsulat

Zeppelinallee 1

60325 Frankfurt a. M.

 

Frankfurt, den 10. Oktober 2003

Betreff: Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen

Sehr geehrter Herr Konsul,

Wir, Unterzeichner dieser Erklärung, können es mit unserem Gewissen nicht vereinbaren, auf irgendeine Art und Weise Soldat zu werden und der Armee zu dienen. Wo auch immer sie in der Welt sein mögen, ist das Ziel von Armeen, Menschen dazu zu zwingen, das Töten und Sterben zu lernen. Daher teilen wir Ihnen mit, dass wir den "Militärdienst" ablehnen, zu dem uns der türkische Staat auffordert. Er erkennt das grundlegende Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung nicht an und macht aus Menschen mittels Zwang Soldaten. Die Beweggründe unserer Kriegsdienstverweigerung sind wie folgt:

Der türkische Staat hat bereits seit seine Gründung gegen alle ethnischen Gruppen und Minderheiten, insbesondere gegen KurdInnen, eine Unterdrückungs- und Assimilationspolitik betrieben. Besonders in den letzten 15 Jahren führte das türkische Militär im Namen der "Terrorbekämpfung" einen grausamen Krieg gegen Guerilla und Zivilbevölkerung. In diesem Krieg starben über 30.000 Menschen (Zivilisten, Soldaten, Polizisten, Guerillas und Dorfschützer). Die türkischen Streitkräfte evakuierten rund 3.500 Dörfer und Siedlungen, brannten sie nieder und zwangen bis zu 5 Millionen Menschen zur Flucht. Die türkische Armee ist verantwortlich für außergesetzliche Hinrichtungen, Folter und Zerstörung der Natur. Zwar sind die Gefechte beendet, aber der türkische Staat ist weit davon entfernt, das Geschehene einzusehen, und macht auch keinen ernsthaften Schritt, um die geistigen und materiellen Schäden, die der Krieg verursacht hat, zu beheben. Im Land herrscht immer noch kein Frieden; im Gegenteil: Der türkische Staat provoziert, indem er seine repressive Politik fortsetzt.

In den vergangenen Wochen erfuhr die Öffentlichkeit in der Türkei, dass der türkische Staat am 8. Februar und am 23. Juni 2003 eine Geheimabsprache mit den USA getroffen hat, um militärische, zivile und logistische Unterstützung für die amerikanischen und britischen Besatzungskräfte im Irak zu leisten. Durch diesen Beschluss öffnete das türkische Ministerpräsidium die Häfen, Flughäfen und Luftstützpunkte zur Benutzung der Koalitionskräfte und schuf die Grundlage zur Stationierung türkischer Soldaten im Irak.

Die Koalitionskräfte im Irak sind Besatzungskräfte und begehen tagtäglich neue Menschenrechtsverletzungen. Nun ist die irakische Bevölkerung, nach dem langjährigen Embargo, von sozialem Chaos, von Arbeitslosigkeit und Elend betroffen, die der Krieg mit sich brachte. Die Versprechungen der USA erwiesen sich als Lüge. Die USA wollen nun ihre Besatzung legitimieren, indem sie andere Länder zur Zusammenarbeit bei der Besatzung zu überreden suchen. Der türkische Staat beteiligt sich an den Verbrechen der USA im Irak.

Während sich die Machthaber in der Türkei aktiv auf internationaler Ebene an diesen Verbrechen beteiligen, werden die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei fortgeführt: In den vergangenen Wochen hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Türkei zu einer Entschädigung von 772.300 ? verurteilt. Die Polizei, Gendarmerie und das türkische Militär setzen Folter, Misshandlungen und menschenverachtende Praktiken fort.

Die EU-Anpassungsgesetze, die in der letzten Zeit im türkischen Parlament verschiedet wurden, zielen nicht auf die grundlegende Veränderung zur Lösung der Probleme, sondern auf die Vertuschung des antidemokratischen Antlitzes des Landes und auf die Ablenkung der Öffentlichkeit ab. Denn es ist eine bekannte Tatsache, dass die Gesetze in der Türkei in der Wirklichkeit keine Gültigkeit besitzen und kein ernsthaftes Interesse zu ihrer Durchsetzung vorhanden ist.

Ohnehin wird die Militarisierungspolitik in der Türkei fortgesetzt: Junge Menschen sind in den Schulen nach wie vor nationalistischer, rassistischer und militaristischer Propaganda ausgesetzt. Die Menschen werden mit den Gedanken wie Obrigkeit und Selbstaufopferung fürs Vaterland indoktriniert. Es wird ihnen eingeimpft, dass in der Türkei nur Türken leben würden, Türken überlegener als andere Völker seien, und jeder Türke als Soldat geboren sei. So wird ihnen in jungem Alter Soldatentum, Feindseligkeit, Nationalismus und Ignoranz gegenüber anderen Kulturen und Völkern vermittelt.

Die Medien unterliegen nach wie vor dem Staat und dem Militär und funktionieren als ihr Propagandaapparat. Kritisch Denkende werden unterdrückt und vernichtet. Die vergangenen Pogrome werden verdrängt.

Soldat zu sein würde für uns bedeuten, all dies gegen unser Gewissen hinzunehmen, den militärischen Zielen des türkischen Staates, der Krieg und Gewalt organisiert, zu dienen und das Recht auf Leben zu verletzen. Wir sind nicht bereit, uns für die Interessen und Verbrechen einer militärischen Machtelite ausnutzen zu lassen. Wir lehnen es ab, zum Töten geschult zu werden, Mord zu begehen, Menschen zu foltern und zu vertreiben.

Wir stellen die folgenden Forderungen an den türkischen Staat:

  • Als ein Bestandteil des Rechtes auf Leben sowie der Meinungs- und Gewissensfreiheit ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein grundlegendes Menschenrecht und muss bedingungslos anerkannt werden. Die Kriminalisierung und die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern, AntimilitaristInnen und Deserteuren muss beendet werden.
  • Die Türkei soll jegliche Zusammenarbeit mit den USA und den Ländern, die sich an der Besatzung des Iraks beteiligen, beenden. Das türkische Militär soll den Nordirak verlassen.
  • Die Militarisierung der Gesellschaft soll gestoppt, und es sollen Wege der Demokratisierung eröffnet werden. Die Machthaber sollen endlich ihre soziale und kulturelle Unterdrückungspolitik gegen die kurdische Bevölkerung beenden sowie die vergangenen Pogrome, wie das Pogrom an Armeniern, anerkennen. Den jungen Menschen sollen Respekt vor Menschenrechten, Dialog und Verständigung zwischen den Völkern vermittelt werden.
  • Die Türkei investiert jährlich Millionen von Dollars in die Modernisierung des Militärs und nimmt auch dafür von Ländern, die Länder wie die Türkei für ihre geopolitischen Ziele ausnutzen wollen, neue Kredite auf. Die Ressourcen dürfen nicht in das Militär, sondern müssen in den Wiederaufbau der zerstörten und niedergebrannten Dörfer und Siedlungsgebiete investiert werden, um die Rückkehr der zur Flucht gezwungenen Menschen zu ermöglichen, und sie sollen für die sozialen Projekte benutzt werden, die das friedliche Zusammenleben von Kurden, Türken und anderen Ethnien zuwege bringen sollen.

Unsere Forderungen an die EU-Länder sind, dass sie der Türkei keine Waffen verkaufen und keinen Beitrag zur Entstehung einer Rüstungsindustrie in der Türkei leisten. Kriegsdienstverweigerern, Deserteuren und Kriegsgegnern muss Asyl gewährt werden, anstatt sie in die Herkunftsländer abzuschieben.

Wir wollen mit unserer öffentlichen Kriegsdienstverweigerung ein Vorbild für alle jungen Menschen sein und sie dazu ermutigen, gegen jeden Krieg und jede Kriegsvorbereitung kritisch Stellung zu beziehen und keinem militärischen Befehl Gehorsam zu leisten. Wir rufen sie dazu auf, Kriegsdienste zu verweigern und die Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aktiv zu unterstützen. Wir weisen darauf hin, dass wir im Falle einer Zwangsrekrutierung Widerstand leisten werden.

Sehr geehrter Herr Konsul, wir bitten Sie, jeweils eine Kopie dieser Erklärung und unserer Unterschriften an die folgenden Behörden zu übersenden:

  • Großer Generalstab
  • Staatspräsidium
  • Verteidigungsministerium
  • Ministerpräsidium
  • Polizeipräsidium
  • Innenministerium
  • sowie die Militärbehörde und das Meldeamt, bei den wir registriert sind.

Hochachtungsvoll

gez. Mehmet Altan, Orhan Arslan, Cebli Asar, Süleyman Aslanca, Semsettin Aydin, Abdulhadi Aydin, A. Celil Aydin, Mehmet Salih Balur, Süleyman Cakal, Fahrettin Celik, Önder Cetin, Turgay Coskun, Mehmet Selim Demir, Nuri Ece, Zeynettin Er, Kamil Eren, Adnan Gündüz, Topaloglu Halil, Abdullah Kaplan, Salih Kaplan, Abdulgafur Kaplan, Teyfik Koc, Hayati Koc, Dahut Özcelik, Deniz Yalvac, Ali Yildirim

 

Anmerkung: Die von den Verweigerern unterzeichnete Erklärung wurde im Anschluss an die Aktion in den Briefkasten des Konsulats geworfen, da dieses eine Annahme verweigerte. Zudem wurden ein weiteres Original mit den Unterschriften dem Konsulat mit Einschreiben zugesandt.

Erklärung der türkischen Kriegsdienstverweigerer auf einer Aktion am 10. Oktober 2003 vor dem türkischen Konsulat in Frankfurt am Main. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Januar 2004.

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