André Shepherd

André Shepherd

André Shepherd: Brief an UnterstützerInnen

"Es ist möglicherweise eine politische Zeitbombe"

(26.11.2009) Liebe Freunde und Freundinnen, liebe Unterstützer und Unterstützerinnen,

Was war das für ein Jahr! Ich kann gar nicht glauben, dass so viel Zeit vergangen ist, seit ich meinen Asylantrag stellte. Ich möchte heute Euch allen herzlich für Eure Liebe und Unterstützung in dieser schwierigen, aber aufregenden Zeit danken.

Zunächst möchte ich Euch über den aktuellen Stand des Verfahrens informieren. Im Moment führt das Bundesamt für Migration immer noch Nachforschungen durch, um eine Entscheidung darüber zu treffen, ob ich Asyl erhalte oder nicht. Ich weiß, dass sich viele von Euch fragen, warum diese Entscheidung so viel Zeit braucht. Wir müssen aber begreifen, dass eine Entscheidung dieser Tragweite nicht leichtfertig getroffen wird.

Macht Euch bewusst, dass ein Ja faktisch dem Eingeständnis gleichkäme, dass der „Krieg gegen den Terror“ illegal und unmoralisch ist. Die Auswirkungen einer solchen Entscheidung wären ungeheuerlich, insbesondere, weil die Entscheidung von einem wichtigen Verbündeten der USA käme. Ein Ja könnte auch dafür sorgen, dass es einen sicheren Platz für KriegsgegnerInnen in Europa gäbe, was die Behörden in höchstem Maße in Verlegenheit bringen würde. Es könnte auch den Druck auf die US-Regierung erhöhen, Kriegsverbrechen gegen die Menschlichkeit gerichtlich zu ahnden, anstatt weiter Kriegsgegner zu verfolgen, die eine begründete moralische Entscheidung getroffen haben.

Wenn die deutsche Regierung Nein sagt, haben wir eine ganz merkwürdige Situation, da es reichlich Beweise gibt, dass dieser Krieg ein Angriffskrieg ist und er US-amerikanisches, deutsches und internationales Recht verletzt. Es wäre sehr interessant, die Erklärung für solch eine Entscheidung zu erfahren und zu sehen, wie die Welt darauf reagieren würde.

Ich sehe, dass dies möglicherweise eine politische Zeitbombe ist angesichts der langen Geschichte der Freundschaft zwischen den beiden Staaten. Trotzdem glaube ich an wahre Gerechtigkeit und auch daran, dass es unter Freunden möglich sein muss, die Fehler des anderen offen zu benennen.

Im Lauf dieses Jahres bin ich durchs Land gereist, habe Veranstaltungen gemacht und Vorträge gehalten, um Aufmerksamkeit für dieses wichtige Thema zu gewinnen. Es gab ein großes Echo in den Medien wie auch im Internet, dank der Hilfe einiger Unermüdlicher. Wenn ich zurückschaue, denke ich, dass wir erfolgreich waren; trotzdem müssen wir weiter dran bleiben, um möglichst weite Teile der Bevölkerung zu erreichen. Dem gewöhnlichen Menschen fällt es schwer, eine Verbindung zu den Kriegen in Irak, Afghanistan und Pakistan herzustellen, einfach weil sie so weit weg sind. Ziel unserer Arbeit muss es sein, diese Leute zu erreichen, damit sie verstehen, was in jenen Ländern geschieht, und wir endlich den dort herrschenden Wahnsinn stoppen können. Ich muss auch betonen, dass uns die Völker jener Länder nicht etwa wegen unserer „Freiheit“ und unseres Glaubens hassen. Sie sind einfach deshalb gegen uns, weil wir ihre Länder besetzt haben. Wie würden wir denn handeln, wenn fremde Streitkräfte unsere Heimatstädte besetzen würden? Wir würden mit Klauen und Zähnen kämpfen, um sie zu vertreiben. Und genau das tun die Menschen dort auch.

Ich bin nicht glücklich darüber, dass unsere Soldaten aus Gründen sterben, die ihnen selbst gar nicht bewusst sind. Niemand sollte sinnlos sterben müssen, erst recht nicht unter falschen Vorwänden. Mein Herz blutet für die Männer, Frauen und Kinder, die auf allen Seiten des Konfliktes leiden, weil sie alle Opfer einer perversen Politik sind.

Um die Botschaft weiter zu verbreiten, fordere ich jede und jeden auf: Berichtet über meinen Asylantrag und bittet Eure Freunde und Kollegen, die deutsche und die US-Regierung aufzufordern, sich sofort aus diesen Ländern zurückzuziehen! Nur gemeinsam können wir hoffen, Erfolg zu haben. Deshalb bitten wir Euch weiter um Eure Unterstützung in dieser sehr wichtigen Sache.

Heute ist in den USA Erntedankfest (Thanksgiving). Ich möchte das zum Anlass nehmen, Euch allen zu danken, dass ihr mich in meinem Kampf so unermüdlich unterstützt habt. Dadurch, dass Ihr Zeit, Kraft und Geld investiert habt, war es uns möglich, Dinge zu erreichen, die wir noch vor einem Jahr gar nicht für möglich gehalten hätten. Vom Winter Soldier Hearing in Freiburg im März dieses Jahres bis zur Veranstaltung von Ethecon am letzten Wochenende in Berlin: Wir haben unsere Botschaft überall an die Menschen bringen können. Besonders wichtig ist mir, dass wir vor Schulkindern darüber sprechen konnten, was es wirklich bedeutet, Soldat zu sein. Das ist enorm wichtig, da junge Menschen bereits als Schüler eine Entscheidung treffen müssen, die vielleicht Auswirkungen auf den Rest ihres Lebens hat. Wir müssen ihnen richtige und sachgemäße Informationen geben, damit sie selbst eine gute Entscheidung für ihr Leben treffen können. Wir haben uns viel zu lange einreden lassen, was wir glauben und was wir über die Welt um uns herum denken sollen. Es ist Zeit für uns, aufzuwachen und die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist, indem wir unsere eigenen Köpfe gebrauchen.

Insbesondere möchte ich mich bedanken bei Connection e.V., dem Military Counseling Network, Iraq Veterans Against the War (in den USA und Europa), den Tübingen Progressive Americans, der DFG-VK, Stop the War Brigade und Ethecon, die mir dabei geholfen haben, die Botschaft des Friedens weiterzutragen. Es gibt noch viele andere Organisationen und Einzelpersonen, die ich jetzt nicht genannt habe, die aber ebenfalls viel dazu beigetragen haben. Herzlichen Dank Euch allen! Möge Gott Euch eine gute Zukunft schenken.

Leider wird der US-amerikanische Krieg gegen die Menschheit fortgesetzt. Präsident Obama ist dabei, weitere 38.000 Soldaten nach Afghanistan zu entsenden und den versprochenen Rückzug aus dem Irak aufzugeben. Die Zahl der Todesopfer wächst stetig und Soldaten aus vielen Ländern sind durch diesen ungerechten Krieg traumatisiert. Die Menschen aus den betroffenen Ländern fliehen massenhaft, weil sie einen sicheren Ort zum Leben suchen. Die Grundversorgung in jenen Ländern reicht nicht einmal annähernd aus, um ein normales Funktionieren der Gesellschaft zu ermöglichen.

Angesichts dieser Situation mag man versucht sein, zu verzweifeln. Aber es gibt Grund zur Hoffnung. Die Stimme der Opposition wird von Tag zu Tag stärker, da immer mehr Menschen aus der ganzen Welt diese ständigen Verbrechen nicht länger mit ansehen wollen und sich auf unsere Seite stellen. Wir dürfen nicht nachlassen, wir müssen weiterkämpfen. Nur wenn wir zusammenstehen und gemeinsam fordern, dass die Kriege beendet werden, können wir die Wunden der Vergangenheit heilen und eine bessere Welt für unsere Kinder aufbauen.

Ich wünsche Euch allen Glück und Gottes Segen.

Brief von André Shepherd an UnterstützerInnen. 26. November 2009. Übersetzung: Rudi Friedrich und Heike Makowski

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