„Das Feindbild wird geschürt, damit die Soldaten nur den Feind sehen“

Redebeitrag auf dem Winter Soldier Hearing in Freiburg (Eddie Falcon)

von Eddie Falcon

Eddie Falcon war vier Jahre lang in der US-Luftwaffe Lademeister für das Transportflugzeug C-130. Er gehörte der 50. Luftbrückenstaffel an, die in Little Rock, Arkansas, stationiert ist. Von 2003 bis 2005 war er an verschiedenen Orten stationiert, an der Luftwaffenbasis Manas in Kirgisien, in Al Udeid, Qatar, im Irak und in Al Salem in Kuwait. Falcon wurde im Dezember 2005 ehrenhaft entlassen. Seit seiner Entlassung und Rückkehr ist Falcon in der Antikriegsbewegung aktiv. Er unterstützte die Organisation des Winter Soldier Hearing in San Francisco. Er wurde 2008 Mitglied der IVAW, sprach im Juni 2008 bei einer Veranstaltung in Tokio und hilft bei der Organisation des Winter Soldier Hearing in Berkeley. (d. Red.)

Mein Name ist Eddie Falcon. Ich bin zweiter Vorsitzender der Iraq Veterans Against the War (IVAW) in San Francisco und studiere derzeit in Spanien. Ich wurde in Los Angeles in Kalifornien geboren und lebte fast mein ganzes Leben im Südwesten der USA.

Viele sagen: „Wie kannst Du gegen den Krieg sein, wo Du doch selbst freiwillig zum Militär gegangen bist. Es gibt doch gar keine Wehrpflicht.“ Das ist richtig, im Moment gibt es in den USA keine Wehrpflicht. Aber es gibt eine ökonomische Wehrpflicht: Es gibt viele Umstände, die jemanden dazu bewegen können, trotzdem zum Militär zu gehen. Ich will von mir erzählen.

Meine Mutter ist mexikanische Einwanderin, mein Vater hat noch nicht einmal einen High School Abschluss. Er war drogenabhängig und leidet jetzt an paranoider Schizophrenie. Mein Onkel war Alkoholiker und starb daran. Meine Schwester nahm auch Drogen und schloss sich einer Gang an. Sie wurde auf den Straßen von Los Angeles erschossen. Mein Cousin ist im Gefängnis, da er zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Meine Familie war sehr arm. Wir waren umgeben von Drogen und Alkohol und auch ich hatte Drogen genommen. Aber ich wollte nicht so enden, wie meine Schwester oder mein Cousin.

Ich hatte mir immer überlegt, was ich mache, wenn ich den Schulabschluss in der Tasche habe. Ich wusste es nicht. Ich sprach dann mit meiner Schwester. Sie sagte mir, der Mann ihrer Freundin sei beim Militär und es gehe den beiden doch ganz gut. Ich bin dann zum Militär gegangen, um Geld für das College und die Universität zu bekommen. Ich hatte das Gefühl, das ich das tun müsste, um da raus zu kommen.

Ich hatte mich schon vor dem 11. September 2001 verpflichtet. Als die Anschläge passierten, war ich in der Grundausbildung. Im Militär wurde beschwichtigt und gesagt, dass man schon damit fertig werden würde.

Zunächst kam ich nach Pakistan, da man mich in der Airforce mit meiner Vergangenheit nicht als vertrauenswürdig ansah. Ich saß dort nur am Schreibtisch und hob den Telefonhörer ab. Alle anderen aus meiner Einheit wurden nach Afghanistan geschickt. Ich war auch zuständig dafür, die riesigen Herkulesflugzeuge, diese riesigen fliegenden Müllhalden mit Fracht beladen zu lassen. Das ging zwei Jahre so, bis im Jahre 2003 der Irakkrieg begann.

Immer mehr Soldaten wurden in den Irak gebracht. Nun gab es gleichzeitig zwei Kriege, in Afghanistan und im Irak. Ein paar Militärs kamen dann zu mir und stellten mir verschiedene Fragen, um herauszufinden, wie ich so tickte. Schließlich sagten sie, ich sei schon in Ordnung und kurze Zeit später wurde ich nach Afghanistan verlegt.

Normalerweise hatte ich mich um die Frachtbeförderung zu kümmern. Wir beförderten auch ein paar Afghaner, die uns geholfen hatten. Und wir hatten zu schauen, ob wir ein paar von den Bösen am Ort festnehmen konnten.

Im Sommer 2004 ging es nach Qatar. Wir hatten Soldaten nach Bagdad und heraus zu transportieren. Später wurde ich nach Kirgisien verlegt. Dort konnten wir am Anfang sogar aus der Luftwaffenbasis rausgehen und uns draußen bewegen. Aber zunehmend wurde es unsicherer, Handgranaten wurden ins Kasernengelände geworfen und wir hatten die ganze Zeit schusssichere Westen und einen Helm zu tragen. Es war bizarr. Uns war doch gesagt worden, dass wir den Terrorismus bekämpfen sollten, aber wir erlebten einen viel umfassenderen Widerstand gegen unser Militär.

Wir haben heute schon von Chris Arendt gehört, wie es in Guantanamo Bay war. Bei meinem letzten Auftrag im Irak hatte ich Gefangene von Bagdad nach Basra und zurück zu transportieren. Ich will Ihnen das ausführlich erzählen, weil es zeigt, welch starke Entmenschlichung und enormen Rassismus ich im Militär erlebt habe.

Das Militär sagt immer, die Menschen im Mittleren Osten seien alles Terroristen, ‘Hadschis’ mit Tüchern um den Kopf. Das ist die westliche Sichtweise. Das Feindbild wird geschürt, damit die Soldaten nur noch den Feind sehen und nicht den Menschen dahinter. Wenn man sich nicht mehr mit dem Menschen identifizieren kann, ist es viel leichter, ihn zu töten, ihn zu foltern. Es wird viel leichter, Häuser zu stürmen, zu plündern oder alles in die Luft zu jagen ohne Rücksicht auf Verluste. Die anderen werden ja nicht mehr als Menschen angesehen. Andere Soldaten sagten einfach: „Die Moslems sind verrückt, die glauben ja noch nicht einmal an Jesus, was wissen die denn schon. Komm, wir sprengen das hier einfach in die Luft, das wäre vielleicht das Beste“.

Und mit diesem Feindbild, in dem die Gegenseite als nicht menschlich dargestellt wird, wird der Krieg am Laufen gehalten. Es wird gesagt, dass weiter Krieg geführt werden müsse, weil ansonsten nur noch die Verrückten da seien und alles im Chaos versinken würde. Irakis wüssten doch gar nicht, wie sie sich selbst regieren sollten. Deshalb müssten die guten Weißen kommen, um ihnen zu zeigen, was Demokratie ist.

Bei den Einsätzen von Bagdad nach Basra mussten wir erste einmal das Flugzeug vorbereiten. 70 Gefangene sollten in einem Flugzeug transportiert werden. Wir prüften zunächst, ob auch alles richtig funktionierte: Nachtsichtgeräte und Waffen. Dann erhielten wir eine Box mit Ausrüstung, um die Gefangenen zu behandeln: Eine Maske für das Gesicht, Handschuhe. Uns wurde gesagt, wir müssten das tragen, um sie überhaupt anfassen zu können. Schon allein das war erneut eine ungeheure Entmenschlichung.

Schließlich bauten wir alle Sitze raus. Sie werden meinen, wer Menschen in einem Flugzeug transportieren will, setzt sie auf die Sitze, zeigt ihnen, wo die Schwimmwesten sind und die Sicherheitsvorkehrungen. Für den Gefangenentransport haben wir aber alles ausgebaut.

Von den Sicherheitskräften wurden dann etwa 210 Gefangene gebracht, 70 für jedes bereit stehende Flugzeug. Sie waren komplett gefesselt, mit Handschellen, Fußfesseln, ihren Kopf umwickelt mit einem weißen Stoff und noch einer Kapuze über dem Kopf. Erst später, als die Bilder mit den Kapuzen um die Welt gingen, wurden ihnen „nur noch“ die Augen verbunden.

Sie wurden von den Sicherheitskräften getreten und geschubst, bis sie im Flugzeug waren. Im Flugzeug mussten sich die Gefangenen im Schneidersitz hinsetzen. Meine Aufgabe war es dann, sie festzugurten. Dazu hatten wir die Gurte zu benutzen, die normalerweise zur Befestigung der Fracht dienen. Ich machte sie also mit diesen Gurten am Boden fest, Reihe für Reihe. Dann wurde das Flugzeug versiegelt und wir flogen nach Basra.

Für die Gefangenen war das natürlich mehr als unbequem. Sie versuchten sich zu bewegen. Darauf hin brüllten die Sicherheitskräfte sie an und schubsten sie. Sie schrieen sie einfach auf Englisch an, es gab keine Dolmetscher. Die Leute verstanden kein Wort davon. Die Sicherheitskräfte hatte auch Elektroschocker mit Laserpointer dabei. Einige von ihnen schauten den Gefangenen mit den Laserpointern unter die Augen und strahlten sie an. So lief das.

Ich fragte die Sicherheitskräfte, ob sie die Elektroschocker auch manchmal benutzten. „Ja“, sagten sie, „manchmal schon, wenn wir sie ruhig kriegen wollen“. „Was sind das eigentlich für Leute, sind es Aufständische oder irakische Militärs?“ „Das sind keine Aufständischen“, wurde mir geantwortet. „Das sind Leute, die wir bei Patrouillen oder nachts festgenommen haben.“ Es war also so, dass die einfach am falschen Ort zur falschen Zeit gewesen waren. Dann wurden sie verhaftet, eingesammelt und weggebracht, weg von jeder Öffentlichkeit. Sie wurden gefesselt, ihnen wurde eine Kapuze übergezogen und mit dem Flugzeug ging es nach Basra zum Verhör.

Wir brachten sie also nach Basra. Die Sicherheitskräfte brachten sie weg, um dort zu tun, was sie dort auch immer tun. Nach allem, was wir gehört haben, ist es kein Fünf Sterne Hotel, die Gefangenen wurden garantiert zusammengeschlagen und misshandelt.

Wir hatten viele solcher Transporte, auch von Basra zurück nach Bagdad. Immer wieder wurden welche freigelassen, weil sie zum Beispiel keine Informationen geben konnten. Und sie mussten auf dem Rückweg das alles erneut über sich ergehen lassen. Man hat sie wieder am Boden festgezurrt. Es ist wirklich ätzend.

In Bagdad machten wir sie los und nahmen ihnen die Augenbinden ab. Einmal machte ich das und sprach die einzigen Wörter arabisch, die ich kann: „Salem Aleikum“. Ich wusste sonst nicht, was ich sagen sollte. Einer lächelte zurück. Aber da nahm ihn ein anderer Gefangener an der Schulter und sprach ihn an. Es war wohl so was, wie: „Dieser Scheiß Ami, das ist doch ein Dreckskerl“. Und schon erstarb sein Lächeln. Er sank in sich zusammen, wirkte total verängstigt und überhaupt nicht mehr freundlich.

An diesem Punkt merkte ich, dass für mich nun Schluss war. Nachdem ich gesehen habe, wie die Regierung die Menschen behandelt, bin ich nun gegen Krieg und gegen die Regierung. Natürlich können Soldaten Begründungen und Ausreden finden, warum man diese Menschen umbringen muss. Immer wieder ist es der Rassismus, der als Entschuldigung für die eigenen Handlungen herangezogen wird, mit dem Argument, der Gegner habe eine dunkle Hautfarbe, sei ein Hadschi, ein Terrorist. Das beherrscht nicht nur das Denken der Soldaten, sondern auch das Denken der Öffentlichkeit.

Als Soldat, der sowohl in Afghanistan als auch im Irak war, muss ich sagen: Es ist der gleiche Krieg. Ich habe keinen Unterschied feststellen können. Viele Leute sagen, der Irakkrieg ist schlecht und der Afghanistankrieg ist gut. Aber die Kriege haben doch die gleiche Ursache, sie sind beide im Mittleren Osten. Wir sind die Besatzer eines anderen Landes auf Grund der Profitinteressen der Großunternehmen. Dafür ist man bereit, Menschen zu erschießen.

Als ich nach Hause kam, hoffte ich, dass es nun vorbei sei. Ich hatte nur noch wenige Monate vor mir und musste nicht erneut in den Krieg ziehen. Ich wollte mich auch nicht länger verpflichten.

Aber als ich nach Hause kam, im Spätsommer 2005, hatte gerade der Hurrikan Katrina New Orleans verwüstet. Ich saß in meiner Einheit, sah die Nachrichten und dachte, warum hilft ihnen denn bloß keiner. Wir konnten doch auch dort hinfliegen. Stattdessen kamen Flugzeuge aus China und Russland und wir selber saßen einfach da und machten nichts. Es kamen immer mehr Flugzeuge aus dem Ausland und in den Nachrichten sah man schließlich nur noch Schwarze, die in New Orleans übrig geblieben waren. Von denen wurde dann gesagt, es seien nur Plünderer, Verbrecher und Kriminelle: „Kümmert Euch nicht drum“.

Und nun erlebte ich schon wieder, wie der Rassismus geschürt wurde. Es war noch nicht einmal möglich, seinem eigenen Volk zu helfen.

Erst nach fünf Tagen, in denen wir die ganze Zeit Alarmbereitschaft hatten, kam der Aufruf, den Flutopfern zu helfen. Wir flogen nach New Orleans. Der Flughafen lag in Schutt und Asche, überall war Müll und zwischendrin lagen die Leute, nur noch Schwarze. Es sah genau so aus, wie im Kriegsgebiet, aus dem ich gerade gekommen war. So behandelt man die Menschen, die man als Dreck ansieht, bei uns, dachte ich mir. So wie in Afghanistan oder im Irak.

Wir sollten 70 Personen ausfliegen und ich fand, dass dies endlich mal was Gutes war. Wir starteten und informierten sie darüber, wie lange wir fliegen und dass es nach Kentucky gehe. Sie schauten mich nur ungläubig an und sagten mir: „In Kentucky kennen wir doch überhaupt niemanden. Warum bringt Ihr uns dahin?“ Ich sah, ich hatte sie nicht wirklich gerettet, ich hatte sie nur dahin gebracht, wo sie sich nicht auskennen.

Ich war wirklich froh, als ich aus dem Militär entlassen wurde. Und ich möchte Euch zum Schluss noch etwas zu den Perspektiven unter dem neuen Präsidenten Obama sagen. Er hatte gesagt, dass er den Irakkrieg beenden und den Afghanistankrieg forcieren wolle. Ich habe kein Vertrauen zu ihm, wenn es um die dortigen Kriege geht. Und ich habe auch kein Vertrauen in die Politiker, z.B. die Demokraten in den USA. Ich hatte es selbst erlebt, weil ich im Irak Angehörige des US-Senates zu einer Erkundungsreise begleitete. Es war der US Senate Committee on Appropriations (für die Bereitstellung finanzieller Mittel zuständiger Ausschuss des Senats der USA), der vor allem von Demokraten besetzt ist. Sie wollten die Lage im Irak begutachten, da es um weitere 80 Milliarden Dollar ging, die für den Krieg bereitgestellt werden sollten. Der Ausschuss war geleitet von Senator Harry Reed, der angeblich Kriegsgegner ist. Wir standen während des Fluges mit ihnen in Kontakt - per Kopfhörer. Und wir fragten sie: „Was macht ihr hier?“ „Wir sind vom Ausschuss, der für die Bereitstellung von finanziellen Mitteln zuständig ist. Wir wollen sehen, ob man noch mehr Geld für den Krieg ausgeben solle. Bevor wir kamen, wollten wir das nicht tun. Aber jetzt, nachdem wir gesehen haben, wie es hier aussieht, sind wir dafür.“ Kurz: Immer wieder sprechen sich die Demokraten öffentlich gegen den Krieg aus, aber schließlich sind sie doch dafür, dass er weiter finanziert wird.

Glaubt nicht den Medien. Und traut Obama nicht.

Redebeitrag von Eddie Falcon auf dem Winter Soldier Hearing, 14. März 2009 in Freiburg. Übersetzung: Anja Ruchatz und Thomas Stiefel. Bearbeitung: Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Mai 2009

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