Emanuel Matondo - Bewegungsarbeiter

Emanuel Matondo - Bewegungsarbeiter

Afrika bewegt sich

von Emanuel Matondo

Afrika stirbt - die Welt sieht tatenlos zu. Afrika hungert - keiner hilft oder doch lediglich mit überschüssigen landwirtschaftlichen Produkten, die auf dem Elendsmarkt abgesetzt werden. Afrika versinkt im eigenen Blutbad - dann muss sofort militärisch interveniert werden. Dies sind einige Klischees, mit denen das Bild Afrikas in der hiesigen Öffentlichkeit gezeichnet wird. Sie dienen der Rechtfertigung politischer Einmischung oder militärischer Interventionen von außen, letztendlich wird damit der Status quo aufrechterhalten.

Ist Afrika wirklich so hoffnungslos, wie die westlichen Medien nicht müde werden zu verbreiten? Warum steht der schwarze Kontinent heute so schlecht da, trotz seines Reichtums, trotz 40-jähriger "Entwicklungshilfe"? Ist der schwarze Kontinent so unfähig, seine Konflikte selbst friedlich zu lösen, wie manche Außenstehende behaupten? Oder kann die afrikanische Bevölkerung nur durch eine westliche Intervention gerettet werden?

Ganz im Gegenteil: Afrika besitzt die Kraft zur eigenen friedlichen Konfliktlösung, wenn der Kontinent nur in Ruhe gelassen würde.

Wer nur genau die in ganz Afrika gewachsene Zivilgesellschaft anschaut, wird dies bestätigen. Das größte Problem des afrikanischen Kontinents sind die vielen marodierenden Militäreinheiten und die anderen Herren in Uniform bei Regierungstruppen und Rebellen. Für die Menschen dort, insbesondere die Friedensbewegten, bleiben große Herausforderungen: die herrschende Kultur der Straflosigkeit sowie die massive Unterstützung der Mörder durch den Westen, womit er maßgeblichen Anteil an der Führung und Verlängerung von Kriegen hat.

Dass afrikanische Despoten zu den besten Freunden der westlichen Welt gehören und ihnen problemlos Zugang zu allen Regierungskanzleien gewährt wird, macht es den Gewaltlosen schwer, sich in den Hauptstädten dieser "Demokratien" Gehör zu verschaffen, für eine Alternative zum Militär. Trotz alledem kämpfen die Basisbewegungen Afrikas für ein Ende dieser Kultur der Straflosigkeit, und mit dem Aufbau von Zivilgesellschaften bieten sie vielerorts Alternativen.

Diese mitten im Krieg oder Bürgerkrieg entstandenen Gruppen versuchen, Konzepte für nichtmilitärische Konfliktlösungen zu entwickeln. Manche von ihnen tragen durch ihre direkte Intervention oder die Vermittlung zwischen den verfeindeten Parteien zur Deeskalation bei. Nicht selten werden sie zu Repräsentanten der Mehrheit, erhalten große Zustimmung aller Bevölkerungsschichten und werden damit zu einer ernstzunehmenden Kraft.

Diesen zivilgesellschaftlichen Gruppen Afrikas sollte die Aufmerksamkeit des Westens und der "internationalen Gemeinschaft" gelten, wenn die Rhetorik für eine partizipative Politik ernst gemeint ist. In Afrika wollen viele lieber Gesundheit, Brot, Bildung, Entwicklung und Frieden statt Waffen und Krieg. Deshalb entstehen überall Bewegungen gegen kriegerisches Unrecht, Despotismus und Barbarei. Die Friedenskämpfer sind die Hoffnung für das Afrika von morgen, ihretwegen kann man sagen: Afrika bewegt sich.

Kenia: Despot friedlich aus dem Amt gejagt

In Kenia herrschte jahrzehntelang der Despot Daniel Arap Moi, der sich nur durch Korruption und Repression gegen Oppositionelle an der Macht hielt. Erst als sich die Zivilgesellschaft um die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften mit der Nationalen Regenbogenkoalition aus zivilen Parteien (NARC) zusammentat, um freie und faire Wahlen durchzusetzen, war es Ende 2002 möglich, einen von ihnen selbst mitgestalteten und mitorganisierten Urnengang umzusetzen. Damit verjagten sie den korrupten und gewaltbereiten Präsidenten friedlich mit Wahlzetteln aus der Machtposition.

Bemerkenswert war bei dieser zivilgesellschaftlichen Koalition Kenias, dass sie sich nicht auf die Provokationen der Gewaltbereiten und der bewaffneten Gruppen des Despoten einließ. Am Ende hat ganz Kenia gewonnen, und Afrika ist um eine Erfahrung eines friedlichen Übergangs reicher.

Allerdings: Von den "Geberländern" des Westens und jenen, die den Menschen unseres Kontinents vorwerfen, sie seien unfähig, ihre Konflikte zu lösen oder Wahlen durchzuführen, gab es keine nennenswerte Unterstützung für die kenianische Zivilgesellschaft in ihrem Kampf gegen Moi. Kenia hat sich selbst geholfen, der Veränderungsprozess kam von innen und nicht von außen.

DR Kongo: Stärkung der Militaristen durch USA und ihre Verbündeten

In der Demokratischen Republik Kongo, die damals noch Zaire hieß, herrschte der Diktator Sese-Seko Mobutu. Er war korrupt und regierte repressiv, Kredite und Entwicklungsgelder überwies er auf eines seiner privaten Konten in der Schweiz. Trotzdem galt der Despot als Mann des Westens. Er war damit automatisch ein Liebling der internationalen Finanzinstitutionen Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank. Mit den von den Institutionen vergebenen Geldern finanzierte er seinen Luxus und die Anstellung von Militärberatern aus der ganzen Welt.

Mitte der achtziger Jahre, als die Menschen im damaligen Zaire das Militärregime zu kritisieren begannen, formierte sich im Untergrund zugleich eine zivile Opposition, später wurden Menschenrechtsgruppen gegründet. Gerade diese zivile Opposition um die charismatische Figur Etienne Tshisekedis von der Union für Demokratie und sozialen Fortschritt (UDPS) trug zur politischen Öffnung Zaires bei und mobilisierte Menschen in allen Provinzen und sozialen Schichten. Es ist der Bewegung um diese Partei zu verdanken, dass es in Zaire Anfang der neunziger Jahre zur Bildung einer gut funktionierenden Zivilgesellschaft kam.

Mit ihrer Gewaltlosigkeit war diese Bewegung die richtige Alternative zum Militärregime Mobutus. Sie wurde jedoch im Ausland nicht wahrgenommen. Der Despot hatte einfach viel zu viele Freunde im Westen und im Ostblock, er galt hier wie dort als Garant der militärischen Stabilität in der Region und der Möglichkeit, ihre Interessen im reichen Zaire wahrzunehmen. Die Durchführung der Nationalen Konferenz durch die Zivilgesellschaft schwächte 1992 die Position des Diktators, der von einigen seiner Kumpanen im Westen fallen gelassen wurde. Mobutu hielt sich dennoch, trotz schwerer Krankheit, an der Macht. Die Gunst der Stunde zur Förderung und Stärkung von zivilen Kräften und Reformbewegungen wurde leider nie genutzt.

Dann tauchte wie aus dem Nichts eine Gruppe angeblicher Rebellen im Osten auf. Die Verhandlungen für einen Übergang fanden nun nur zwischen den Waffenträgern statt, dem Rebellenführer und dem geschwächten Diktator. Die Zivilgesellschaft blieb außen vor. Diese Politik wurde von der "internationalen Gemeinschaft" unterstützt und war für den inzwischen verstorbenen Rebellenführer Joseph Desire Kabila Bestätigung für seine spätere Herrschaftspolitik: Er verhielt sich nach Mobutus Sturz und der Machtübernahme nicht anders als der vormalige Diktator.

Die USA und ihre Verbündeten, ehemalige Freunde Mobutus, wechselten die Seite und stärkten nun den Militaristen Kabila, der sein repressives Projekt gegen die Zivilgesellschaft und gegen Oppositionelle vorantrieb. Am Ende entpuppte er sich als Marionette der beiden Regime in Uganda und Ruanda. Dies war im Westen bekannt, aber keiner wollte es verhindern.

Zaire wurde 1997 in Kongo umbenannt. Seitdem ist das Land von Ruanda und Uganda besetzt, was zu keinem Aufschrei geführt hat. Die Zivilgesellschaft des Kongo kämpft unermüdlich für einen sofortigen Rückzug der ruandischen und ugandischen Besatzungstruppen, die Einhaltung der Menschenrechte und einen nationalen Dialog zur friedlichen Lösung des Konfliktes in ihrem Land, ohne fremde Interventionen.

Angola: Ausschluss der Zivilgesellschaft durch die UNO

In Angola regiert ein Regime, das weltweit als korrupt, militaristisch und brutal bekannt ist. Es lieferte sich über dreißig Jahre einen erbitterten Kampf mit einer ebenso brutalen und skrupellosen Rebellenbewegung, stellvertretend für die Supermächte und zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Jahrelang durften sie ihr Unwesen in Angola treiben und konnten sich dabei auf die Unterstützung ihrer jeweiligen Freunde im Westen und Osten verlassen. Das an Erdöl und Diamanten reiche Land wurde und wird von einer Hand voll Militaristen und bewaffneten Rebellengruppen beherrscht.

Erst nach der politischen Öffnung 1992 konnte sich langsam eine Zivilgesellschaft entwickeln. Mitte der neunziger Jahre, als die Stimmen unabhängiger Journalisten lauter wurden, gewann die Bildung der Zivilgesellschaft an Dynamik. Sie war nach dem erneuten Ausbruch des Bürgerkrieges Ende 1998 so stark, dass sie zum größten Problem für die Kriegsparteien wurde. Viel zu lang hatten die Menschen in Angola den Militärs vertraut und ihnen das Feld des politischen Handelns überlassen, bis sie merkten, dass die Männer in Uniform das ganze Land ins Elend gestürzt haben. Nun setzte sich die Überzeugung durch, dass mit den Militärs kein Frieden zu erreichen sei und der Militarismus aller Kriegsparteien, der Volksbewegung für die Befreiung Angolas (MPLA), wie der Nationalen Union für die Unabhängigkeit (UNITA) und der Front zur Befreiung der Enklave Cabinda (FLEC) die humanitäre Krise nur verschärfte.

Deshalb stellte sich die Zivilgesellschaft Angolas gemeinsam mit den Kirchen und den zivilen Oppositionsparteien gegen den Krieg und forderte einen sofortigen Waffenstillstand und einen Dialog aller gesellschaftlichen Kräfte, einschließlich jener, die seit Jahrzehnten von politischen Entscheidungen ausgeschlossen waren. Sie empfahl die ökumenische Friedensorganisation um die beiden großen Kirchen Angolas als Vermittlerin zwischen den Kriegsparteien für eine nicht-militärische Beilegung des Konfliktes durch Dialog.

Die hinter dieser Friedensinitiative stehenden Gruppen brachten viele Vorschläge ein und präsentierten zugleich Konzepte für einen Friedensplan. Die Kriegsparteien gerieten unter Druck und es bewegte sich etwas: Gespräche und Kontakte zwischen dem Ökumenischen Komitee für Frieden in Angola (COIEPA) und der MPLA-Regierung kamen zustande, erste Vermittlungsgespräche mit der am Krieg beteiligten UNITA-Fraktion wurden im Ausland geführt, auch wenn beide Lager ihrer bisherigen Logik des totalen Krieges bis zur "Vernichtung des Feindes" verhaftet blieben. Es kam zu einer verstärkten Kritik von führenden Menschenrechts-, Friedens- und besonders humanitären Hilfsorganisationen aus dem Ausland. Das veranlasste schließlich die UNO, ihre einseitige Position zugunsten der Regierungspartei teilweise aufzugeben und sich der Logik des direkten politischen Dialogs zwischen den Kriegsparteien anzuschließen.

Einige Kräfte im Westen kamen sogar zu der Einsicht, dass die Zivilgesellschaft als dritte Kraft in Angola eine Alternative sein könnte. So verabschiedete zum Beispiel das Europaparlament am 4. Juli 2001 eine Resolution, die unter anderem feststellt: "Die tragische jüngere Geschichte Angolas lehrt uns eines - wir sollten nur jenen vertrauen, die keine Waffen in der Hand halten, wenn sie von Frieden sprechen".

Die UNO begann jedoch, die Friedensbewegten in Angola als "unkontrollierte Kräfte" im Klub der Diplomaten zu diffamieren. Sie nahm Kontakt mit der Vertretung der UNITA auf, sowohl in Frankreich als auch in den USA - was sie später jedoch offiziell dementierte. Sie versuchte auf sie einzuwirken, jeden Kontakt mit der angolanischen Zivilgesellschaft abzubrechen, der "Friedensinitiative auf der Straße", und nur auf diplomatischer Ebene zu verhandeln. Die UNO versuchte also, sich wieder als Vermittler ins Gespräch zu bringen, auf Kosten der Friedenskräfte. Aufgrund der Einflussnahme wurde die bis dahin geleistete Arbeit zunichte gemacht und die schon erreichten Schritte torpediert. Am Ende blieben wir außen vor, der Krieg eskalierte weiter.

Er endete mit einem militärischen Sieg. Am 22. Februar 2002 verkündete die angolanische Regierung den Tod des Rebellenführers der UNITA, Savimbi. Damit wurden die Generäle, die für den jahrelangen Krieg verantwortlich sind, salonfähig gemacht. Im April 2002 wurde schließlich ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet.

Tatsächlich ist der Krieg nicht wirklich beendet. Mit neuen militärischen Kräften wird er nun vor allen Dingen in der exterritorialen Provinz Cabinda fortgeführt, praktisch unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit. Zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, extralegale Hinrichtungen, eine Strategie der verbrannten Erde zeugen davon, dass die angolanische Regierung die gesamte Bevölkerung Cabindas als SympathisantInnen der FLEC ansieht. Die Friedensaussichten sind in Cabinda extrem schlecht.

Zudem werden die versprochenen Wahlen für Angola von Mal zu Mal in die Zukunft geschoben. Versöhnung und Dialog bleiben aus. Die Opposition sieht sich Repressionen der Regierung ausgesetzt. Weiter regieren Generäle in Angola, weiter herrscht Militär und Gewalt.

Wir kennen kein Militär, das Frieden gebracht hätte

Der Glaube, dass nur die Militärs für Stabilität in Afrika sorgen könnten, ist ebenso falsch, wie die Behauptung, der afrikanische Kontinent könne nur durch fremde Militärinterventionen befriedet werden. Das Gegenteil ist der Fall: Die eine militärische Gruppe zerstört alle vorhandenen Strukturen - mit Unterstützung von außen; dann interveniert die Fremdenlegion und rechtfertigt die Besatzung damit, alles besser machen zu können. Was bleibt ist die Zerstörung der zivilgesellschaftlichen Strukturen. Wir kennen wirklich kein Militär, das uns den Frieden auf dem afrikanischen Kontinent gebracht hätte.

 

Emanuel Matondo hatte 2001 als Vertreter der angolanischen antimilitaristischen Menschenrechtsinitiative IAADH Veranstaltungen im Rahmen der Rundreise "Angola: Öl, Diamanten, ... Krieg" durchgeführt.

Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Januar 2004.

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