Bisrat Habte Micael

Bisrat Habte Micael

Eritrea: „Ich hatte die Nase voll vom Krieg“

von Bisrat Habte Micael

Ich wurde am 10.1.1981 in Asmara geboren. Bis zur 5. Klasse ging ich in die Hatsey-Yohannes-Schule, für die 6. und 7. Klasse war ich in der Awet-Schule, in der 8.-11. Klasse in der Halai-Schule.

Als ich mit der 11. Klasse fertig war und mein Abitur gemacht hatte, war ich erst 15 Jahre alt. Ich war kein Mal sitzen geblieben und hatte in der Schulzeit einige Klassen übersprungen, wie das auch in anderen Fällen geschah.1

Nach der 11. Klasse wurde uns gesagt, dass wir das Ergebnis der Abiturprüfungen erst nach der Grundausbildung beim Nationaldienst erfahren würden. Bei einem guten Abschluss hätte man wahrscheinlich studieren können, ansonsten wäre ich wohl beim Militär geblieben. Ich hoffte darauf, dass ich nach der Ableistung des Nationaldienstes den Abschluss bekomme und aus dem Militär entlassen werde. Deswegen bin ich mit 15 Jahren zum Militär gegangen. So wurde ich 1996 in der 5. Runde der Einberufungen zum Nationaldienst rekrutiert und nach Sawa zur Grundausbildung gebracht.

Einige der Mädchen waren von ihren Eltern abgehauen und zum Nationaldienst gegangen, obwohl sie minderjährig waren. Manchmal kamen die Eltern, um sie wieder mit nach Hause zu nehmen. Die Verantwortlichen haben das aber immer verweigert. Sie sagten: „Sie kam von sich aus hierher. Jetzt bleibt sie bei uns.“ Selbst wenn die Mädchen später zurück nach Hause gehen wollten, wurde es ihnen verweigert.

Die Zeit in Sawa war hart. Es war Regenzeit und die Einrichtungen in Sawa waren damals nichts so gut ausgestattet. Viele wurden krank, hatten Hepatitis. Besonders Frauen bekamen ständigen Schluckauf, man nennt das bei uns Lewti. Selbst mit einer Krankheit wurden wir dazu gezwungen, am Appell teilzunehmen. Nur bei sehr schweren Krankheitsbildern gab es eine befristete Zurückstellung vom Nationaldienst. Wir wurden bis zum Umfallen zu militärischen Übungen gezwungen. Es war ihnen egal, ob du stirbst oder nicht. Anders umgegangen sind sie mit Angehörigen von hochrangigen Offizieren. Sie wurden selbst dann vom Militärdienst befreit, wenn sie noch nicht einmal krank waren.

Viele Mädchen wurden vergewaltigt. Es gab Mädchen, die sich aufgrund der Situation angepasst haben und von sich aus mit den Offizieren geschmust haben, um einer Vergewaltigung zu entgehen. Es gab ausschließlich männliche Offiziere. Wer dies nicht gemacht hat, wer sich den Aufforderungen der Männer verweigert hat, wurde zu miesen Arbeiten eingeteilt oder einfach in den Krieg geschickt. Auch die Mädchen, die vergewaltigt worden waren, sich aber nicht fügen wollten, wurden an die Front geschickt. Gut behandelt wurden die Mädchen, die sich willfährig benahmen und hübsch waren. Oft wurden sie unfreiwillig schwanger.

Nach der sechsmonatigen Grundausbildung kam ich in die Division 381. Zunächst sollte ich in der Verwaltung eingesetzt werden. Dann ging es aber an die Front. Das hatte mich überrascht. Ich war davon ausgegangen, dass ich insgesamt 18 Monate Militärdienst ableiste. Wenn man den Urlaub abzieht, wären es nach der Grundausbildung noch 8 Monate gewesen, in der die SoldatInnen gewöhnlich in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. Ich hatte z.B. auch Urlaub beantragt. Mein Vorgesetzter wollte mich aber davon abhalten. Er wollte, dass ich für ihn koche und seine Puppe bin. Das verweigerte ich. So erhielt ich keinen Urlaub. Stattdessen wurden wir an die Front geschickt.

Wir befanden uns in Baka im Gebiet Girmaik. Die Mädchen, die sich weigerten, Hausfrau zu spielen, mussten als Strafe in der Nacht 3-4 Stunden Wache stehen. Auch die männlichen Jugendlichen, die ihnen helfen wollten, wurden bestraft - ihnen wurde befohlen, den ganzen Tag in der Sonne stramm zu stehen.

Die anderen Mädchen, die das Spiel mitmachten, wurden gut behandelt. Sie erhielten ein gutes Zimmer, ein schönes Bett und bekamen jeden Monat Urlaub, um ihre Familie besuchen zu können. Es waren wenige, die mitgemacht habe. Die meisten verweigerten sich. Wir haben immer gedacht: Wir leisten Militärdienst ab und gehen dann wieder heim.

Zwischen den alten Kämpfern, den Jikaalo, und den Wehrdienstleistenden gab es Auseinandersetzungen. Die alten Kämpfer warfen den neuen Rekruten vor: „Ihr wollt nur unter Euch bleiben.“ Sie übten Druck auf uns aus, weil wir, die zusammen in der Schule gewesen waren, einander beistanden.

Wer es nicht mehr ertragen konnte, wer seine Familie sehen wollte, haute schließlich ab. Manche kamen von alleine wieder, andere wurden von Militärpolizei aufgegriffen und dann mit Hubschrauber oder der Nummer Acht bestraft. In einigen Fällen wurden sie auch mit Milch übergossen, bevor sie stundenlang in der Sonne zu stehen hatten. Sie wurden Koblelt genannt, Ungesetzliche, Deserteure.

Auch ich wurde einmal mit der Nummer Acht bestraft und den ganzen Tag in die Sonne gelegt, weil ich mich geweigert hatte, für den Vorgesetzten Hausarbeiten zu machen. Ich war nicht desertiert. Aber ein Vorgesetzter hatte mich im Visier. Als ich Kritik äußerte, hieß es, das sei ungesetzlich. Ich wurde gefesselt und in die Sonne gelegt, da ich nicht willig gewesen war.

Nach der Ableistung von 18 Monaten Militärdienst mussten wir zwei weitere Monate beim Militär bleiben. Dann begann der Krieg. Mir fällt es schwer, das zu beschreiben. Es war entsetzlich. So gab es z.B. die Regel, dass bei Verletzungen von Soldaten zuerst die Jikaalo ins Lazarett gebracht werden müssen. Sie wurden also zuerst aus der Frontlinie geholt, nicht die einfachen Soldaten. Einmal starben deswegen 5, 6 Jugendliche. Sie waren einfach liegen gelassen worden.

Wenn die Einheit von der Front zurückgezogen wurde, um eine Pause zu erhalten, gingen einige unerlaubt fort zu ihren Familien. Wenn sie zurück kamen und die Einheit wieder an die Front verlegt wurden, wurden sie als Strafe direkt an der Front eingesetzt, andere wurden sogar exekutiert.

So gab es eine Situation, als zwei heiraten wollten. Die Familie und das Brautpaar hatten einen Termin vereinbart, den Führer der Einheit benachrichtigt und darum gebeten, für die Hochzeit Urlaub zu erhalten. Eine Hochzeit ist in Eritrea ein ganz wichtiges Ereignis. Aber dem Brautpaar wurde der Urlaub verweigert. So gingen sie unerlaubt fort, um zu heiraten. Nun schickte das Militär eine ganze Einheit zur Hochzeitsfeier, um das Brautpaar festzunehmen, statt zumindest die Hochzeit abzuwarten. Sie wurden dann direkt von der Hochzeit an die Front gebracht.

Ich hatte die Nase voll vom Krieg. Ich meldete mich krank, obwohl ich dann dableiben musste und nicht nach Hause kam. Nach mehrmaligen Anträgen und Beschwerden erhielt ich doch noch fünf Tage Urlaub, blieb aber zehn Tage weg. Dann bekam ich es mit der Angst. Ich kehrte zurück. Als Strafe musste ich einen großen Wasserbehälter eine Woche lang ständig einen großen Berg hinauf und herunter tragen.

Im Mai 1999 wollte mich einer der Einheitsführer vergewaltigen. Ich konnte schreien, so dass andere zu Hilfe kamen und es verhinderten. Ich verlangte, dass er bestraft werde. Aber er selbst war dafür verantwortlich, meine Beschwerde an die Vorgesetzten weiterzuleiten. Er wurde nicht bestraft.

Nach der 2. Invasion wurden wir in der Einheit geschult und absolvierten einen Kurs über Finanzprüfung. Ich war in der Verwaltung des Bataillons eingesetzt und kontrollierte die Einnahmen und Ausgaben. Mein Vorgesetzter setzte mich unter Druck und verbreitete Lügen über mich, weil ich ihm nicht willig war. Er beschuldigte mich z.B., Geld gestohlen zu haben, obwohl er gar kein Geld dagelassen hatte. Solche Anschuldigungen leitete er an seine Vorgesetzen weiter, damit ich bestraft werde. Es war unerträglich. Ich bin deshalb zu meiner Familie nach Asmara gegangen.

Nach einem Monat wurde ich in Asmara verhaftet und ins Polizeirevier nach Gegjeret gebracht. Anschließend kam ich nach Adiabeto. Ich verlangte mehrmals: „Ich will zu meiner Einheit. Wenn ich eine Strafe erhalten soll, will ich sie dort erhalten.“ Nach einigen Wochen konnte ich aber aus dem Gefängnis in Adiabeto fliehen und nach Adisegdo gehen.

Dort gelang es mir, über ein Jahr zu bleiben. Ich musste mich ständig verstecken, die Gäste durften mich nicht sehen und ich konnte nicht aus dem Haus gehen. Die Nachbarn durften mich nicht sehen, damit sie mich nicht verraten konnten. In der Zeit kam ich aber in Kontakt zu Freunden meines Vaters, die mir regierungskritische Zeitschriften, z.B. von der ELF mitbrachten.

Weil ich lange weg war, haben die Behörden monatelang Druck auf meinen Vater ausgeübt, nach mir gefragt und ihn schließlich verhaftet.

Mit Hilfe seiner Freunde konnte ich schließlich in den Sudan flüchten. Ich zog mich so an, wie normalerweise Mädchen aus den Dörfern bekleidet sind und wurde mit dem Auto nach Teseney gebracht. Dort blieb ich eine Woche, um die weitere Flucht vorzubereiten. Dann ging ich über die Grüne Grenze in den Sudan.

Auch im Sudan hatte ich Angst vor einer Festnahme. Afewerki hatte immer befohlen, Deserteure festzunehmen und zurück zu bringen. Die eritreische Regierung forderte, dass Jugendliche, die in den Sudan geflohen waren, ausgeliefert werden sollten. Manchmal ist die sudanesische Regierung dieser Aufforderung gefolgt und hat sie zurück gebracht. Manche der Deserteure wurden erschossen, oft ist nicht bekannt, wo sie geblieben sind. Auch ist der Geheimdienst von Eritrea im Sudan tätig und verschleppt insbesondere eritreische Geheimnisträger, aber auch einfache Soldaten, um damit Exempel zu statuieren. Zudem sind die sudanesischen Soldaten z.B. in Kessela korrupt. Da es Konflikte zwischen dem Sudan und Eritrea gibt, ist es ihnen egal, was mit den Deserteuren passiert. Wer ihnen kein Geld gibt, wird festgenommen und an die Grenze gebracht.

Selbst von der UNO können die Deserteure und Deserteurinnen keine Hilfe erwarten. Deserteure müssen schnell abtauchen und weit von den großen Städten entfernt bleiben oder das Land verlassen. Deswegen sind viele Jugendliche über die Sahara nach Libyen unterwegs, versuchen, mit dem Schlauchboot das Meer zu überqueren - mit der großen Gefahr, dabei zu ertrinken.

Aber selbst dann droht die Gefahr, zurückgebracht zu werden. Malta hatte 200 Flüchtlinge in den Sudan gebracht. Von dort wurden sie den eritreischen Behörden übergeben. Niemand weiß, wo sie sich befinden. Zum Glück konnten einige Jugendliche abhauen und noch einmal nach Europa kommen. Zum Glück wurden sie jetzt in Europa aufgenommen.

Im Sudan blieb ich einen Monat lang bei einem Verwandten in Khartoum. Mit seiner Hilfe kam ich mit Hilfe von Schleusern nach Deutschland.

Hier in Deutschland geht es mir gut. Ich habe Ruhe gefunden. Mein Asylverfahren wurde vom Bundesamt allerdings abgelehnt. Ich habe Klage eingereicht, sehe aber keine Hoffnung für das Asylverfahren.

Ich weiß nicht, wie es meiner Familie geht und mache mir wirklich Sorgen. Ich kann nicht telefonieren oder schreiben, da das wahrscheinlich kontrolliert wird. Ich habe Angst, dass meine Familie noch mehr Schwierigkeiten bekommen würde, wenn die Behörden wüssten, dass sie ihrer Tochter geholfen haben. Ich habe keine Informationen über meinen Vater. Ich weiß nicht, ob er noch lebt oder nicht. Meine Geschwister wurden zum Nationaldienst einberufen. Meine Mutter ist allein. Ich weiß nicht, wie sie es durchhalten.

Fußnote

1 Die Praxis, dass SchülerInnen Klassen überspringen, spiegelte sich auch bei den Übersetzern wider. Abraham Gebreyesus hatte die 6. Klasse bereits nach drei Jahren abgeschlossen, Yonas Bahta kam von der 2. direkt in die 4. Klasse.

Interview mit Bisrat Habte Micael vom 28.05.2004. Übersetzung Yonas Bahta und Abraham Gebreyesus. Abschrift: Rudi Friedrich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und Eritreische Antimilitaristische Initiative in Zusammenarbeit mit der Flüchtlingsseelsorge der EKHN (Hrsg.): Broschüre »Eritrea: Kriegsdienstverweigerung und Desertion«, Offenbach/M., November 2004. Wir danken für die finanzielle Förderung durch: Dekadefonds zur Überwindung der Gewalt der EKHN, Förderverein Pro Asyl und Evangelischer Entwicklungsdienst (EED).

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