André Shepherd

André Shepherd

Kriegsdienstverweigerung und Desertion in den USA

von Rudi Friedrich

(01.02.2017) Es gibt keine umfassende Statistik über SoldatInnen der US-Armee, die sich unerlaubt von der Truppe entfernt haben (Absent Without Leave – AWOL) oder desertiert sind. Wil S. Hylton, der 2015 für New York Times Magazin recherchierte, kam auf eine Schätzung von etwa 50.000 Fällen zwischen 2001 und 2012.1 Tausende verließen also jährlich ohne Erlaubnis die Armee während des Irakkrieges, auch nachdem die US-Regierung den Irakkrieg formal bereits im Mai 2003 für beendet erklärt hatte. Für die nachfolgenden Jahre wurden die Kampfhandlungen als „Krieg gegen den Terror“ deklariert, was völkerrechtlich nicht näher definiert ist.

Bekannt wurden insbesondere diejenigen, die sich den Einsätzen im Irak oder auch in Afghanistan verweigerten und dies öffentlich machten. Weitere Fälle sind uns aufgrund unserer Beratungstätigkeit von US-SoldatInnen vertraut. Wir wollen im Folgenden eine Übersicht über die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung, den Umgang mit Kriegsdienstverweigerern in der US-Armee sowie zur Desertion und Unerlaubten Abwesenheit geben. Nach diesen Ausführungen werden einige Fälle ausführlicher dargestellt.

Verfahren zur Kriegsdienstverweigerung

In den USA wird Soldaten und Soldatinnen die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung gewährt. Dies gilt, obwohl alle Militärangehörigen als Freiwillige gelten. Allerdings sind für die Anerkennung relativ hohe Hürden gesetzt worden.

Ein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung kann nach der Army Regulation 600-43 gestellt werden. Die Anerkennung erfolgt nur, wenn ein Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen „jede Art, Waffen zur Teilnahme am Krieg zu tragen, verweigert“ und „seine Verweigerung, fest, endgültig und ernsthaft“ ist. Das gilt für beide vorgesehenen Kategorien, sowohl für 1-0, bei der eine Entlassung aus der Armee vorgesehen ist wie auch für 1-A-0, bei der ein waffenloser Dienst vorgesehen ist.

Eine Kriegsdienstverweigerung aufgrund der Ablehnung bestimmter Kriege wird ausdrücklich ausgeschlossen: „Die individuelle Verweigerung muss alle Kriege betreffen statt einen bestimmten Krieg.“ Ein Antrag ist bei den jeweiligen Vorgesetzten einzureichen.

Das Verfahren sieht vor, dass der militärische Vorgesetzte, ein Militärgeistlicher und ein Militärpsychologe Stellungnahmen zur Glaubwürdigkeit des Antragstellers abgeben. Das Verfahren wird also faktisch in der Einheit selbst durchgeführt. Das bedeutet auch, dass ein Kriegsdienstverweigerer während der gesamten Zeit des Verfahrens in der Regel bei seiner Einheit stationiert bleibt. Eine Entscheidung über den Antrag wird vom Hauptquartier des US-Militärs in Alexandria (Virginia) getroffen.

Im Falle eines Antrages zur Kriegsdienstverweigerung wird auch die Möglichkeit eingeräumt, sich vom bewaffneten Dienst befreien zu lassen. Eine Entscheidung darüber obliegt den Vorgesetzten des Antragstellers.

Die Feststellung, ob ein Militärangehöriger als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wird „muss in Übereinstimmung mit der Effektivität und Effizienz der Armee stehen“.

Bei einer positiven Entscheidung nach Kategorie 1-0 wird der Verweigerer ehrenhaft aus der Armee entlassen, mit dem Verweis, dass er als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wurde.

Im Falle einer negativen Entscheidung bleibt dem Verweigerer die Möglichkeit, den Board of Corrections anzurufen, der Teil des Militärs ist, aber von Zivilisten besetzt wird. Eine Entscheidung des Board of Corrections unterliegt allerdings der Prüfung durch das Verteidigungsministerium. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, in den USA eine Habeas-Corpus-Klage vor einem Bundesgericht einzureichen. Anwälte aus den USA bestätigen, dass hier eine Anerkennung unwahrscheinlich ist, da die zivilen Richter selten die Entscheidungen des Militärs kritisieren wollen. Zudem ist solch eine Klage mit erheblichen Kosten verbunden, die vom Betroffenen aufzubringen sind.2

Nach Informationen des US-Verteidigungsministeriums gibt es jährlich etwa 100 Anträge zur Kriegsdienstverweigerung von US-Soldaten und Soldatinnen. Etwa 50% werden abgelehnt.3

Zur Praxis

Auch wenn die Regelungen des Verfahrens allen Soldaten und Soldatinnen zugänglich sind, so sind sie doch im Militär kaum bekannt. Zudem sehen viele, die sich bei Schwierigkeiten im US-Militär bei Beratungsstellen melden und sich über die Möglichkeiten informieren wollen, aus dem US-Militär entlassen zu werden, dies nicht als Möglichkeit für sich an. Sie sehen bei sich selber keine umfassende Gewissensentscheidung in dem Sinne, dass sie die Beteiligung an allen Kriegen ablehnen. Ihre Ablehnung richtet sich vielmehr auf konkrete Situationen und Kriege.

Immer wieder wurde uns berichtet, dass Soldaten und Soldatinnen, die mit ihrem Gewissenskonflikt zu ihren Vorgesetzten oder Militärgeistlichen gingen, zurückgewiesen wurden. Ihnen wurde entweder mitgeteilt, dass eine solche Möglichkeit gar nicht bestehe, oder dass sie nur in ganz besonderen Fällen zum Tragen kommen würde.

Zudem trägt die Regelung, dass ein Kriegsdienstverweigerer in der Zeit des Verfahrens in der Regel bei seiner Einheit stationiert bleibt, dazu bei, den Kriegsdienstverweigerer unter Druck zu setzen. Das bedeutet in der Praxis, dass er auch bei einer Verlegung ins Kriegsgebiet dem Marschbefehl folgen muss, sich also als Teil des Militärs im Kriegsgebiet befindet. Eine Entscheidung darüber, wo ein Kriegsdienstverweigerer stationiert ist und welche Dienste er auszuführen hat, obliegt der ihm zugeteilten Einheit.

Da sich das Verfahren in der Praxis über Monate hinzieht und gewöhnlich ein Jahr dauert, ist das Risiko, mit der Einheit ins Kriegsgebiet geschickt zu werden, als sehr hoch einzuschätzen. Dies gilt insbesondere für Einheiten, die bereits in einem Kriegsgebiet eingesetzt waren und solchen, die für den Kriegseinsatz vorgesehen sind.

Unerlaubte Abwesenheit und Desertion

Mit der Unterschrift unter den Vertrag mit dem US-Militär und dem Eintritt in das US-Militär verpflichtet sich ein US-Bürger, eine befristete Zeit als Soldat zu dienen. Eine Verpflichtung kann auf zwei, vier oder mehr Jahre erfolgen. Grundsätzlich ist damit auch eine Verpflichtung verbunden, sich nach der aktiven Militärdienstzeit weiter als Reservist zur Verfügung zu halten. Faktisch ergibt sich daraus eine Verpflichtung von in der Regel insgesamt acht Jahren. Im Fall eines Stopp Loss Order kann die Vertragszeit des aktiven Dienstes einseitig vom Militär verlängert werden. Das traf während des Irakkrieges auf etwa 50.000 SoldatInnen zu.4

Ein Soldat unterliegt dem Uniform Code of Military Justice (UCMJ), dem Militärstrafgesetzbuch. Damit wird er verpflichtet, die Befehle der Vorgesetzten auszuführen. Eine vorzeitige Kündigung des Vertrages ist bis auf wenige Ausnahmen nicht möglich und wird als Unerlaubte Abwesenheit oder Desertion verfolgt. Für die Strafverfolgung ist eine eigene Militärgerichtsbarkeit zuständig. Der Befehlshabende Kommandeur hat die Befugnis, einen Fall vor ein Militärgericht zu bringen oder Disziplinarmaßnahmen zu verhängen.

Im Folgenden werden einige Strafvorschriften des UCMJ dargestellt.

Unerlaubte Abwesenheit

Nach Artikel 86 UCMJ macht sich ein Militärangehöriger, der sich ohne Erlaubnis von seiner Einheit entfernt oder einem Marschbefehl nicht nachkommt, der Unerlaubten Abwesenheit schuldig.

Bei einer Unerlaubten Abwesenheit von weniger als drei Tagen kann er mit einer Geldstrafe und bis zu einem Monat Haft belangt werden.

Bei einer Unerlaubten Abwesenheit von mehr als drei Tagen, aber nicht mehr als 30 Tagen, droht eine sechsmonatige Haftstrafe.

Eine Unerlaubte Abwesenheit von mehr als 30 Tagen wird mit einer unehrenhaften Entlassung, dem Verlust alle Zahlungen und einer Haftstrafe von bis zu einem Jahr unter Strafe gestellt.

Die Strafandrohung erhöht sich auf 18 Monate, sollte der Soldat aufgrund einer Festnahme zur Truppe zurückgebracht werden.

Eine zusätzliche Haftstrafe von sechs Monaten droht, falls mit der Unerlaubten Abwesenheit die Absicht verbunden war, sich der Teilnahme an Wachdiensten, Manövern oder Einsätzen zu entziehen.

Desertion

Nach Artikel 85 UCMJ macht sich ein Militärangehöriger der Desertion schuldig, der

  • sich ohne Erlaubnis von seiner Einheit entfernt, mit der Absicht, dauerhaft fernzubleiben;
  • sich dem Dienst entzieht, um einen gefährlichen Einsatz zu vermeiden oder sich vor einer wichtigen Aufgabe zu drücken;
  • in der Zeit der Verpflichtung bei der US-Armee ohne Genehmigung ausländischen Streitkräften beitritt.

Der entscheidende Unterschied zur Unerlaubten Abwesenheit nach US-amerikanischem Verständnis besteht nicht in der Dauer der Abwesenheit, sondern in der Absicht, auf Dauer fernzubleiben.

Wer der Desertion für schuldig befunden wird, um einen gefährlichen Einsatz zu vermeiden oder sich vor einer wichtigen Aufgabe zu drücken, kann unehrenhaft entlassen werden. Das Strafmaß erhöht sich auf bis zu fünf Jahre.

Falls nach einer einfachen Desertion die Rückkehr zur Armee durch Festnahme erfolgt, beträgt die Strafandrohung drei Jahre, ansonsten zwei Jahre.

In Kriegszeiten wird bei Desertion die Todesstrafe angedroht. Der letzte uns bekannte Fall, bei dem diese Strafandrohung ins Verfahren eingebracht worden ist, betrifft den Verweigerer Erik Larsen, der 1990 zu Beginn des II. Golfkrieges seine Verweigerung öffentlich machte. Er wurde schließlich zu einer Haftstrafe verurteilt.5

Verpassen der Verlegung der Einheit

Nach Artikel 87 UCMJ macht sich ein Militärangehöriger des „Verpassens der Verlegung der Einheit“ (Missing Movement) schuldig, wenn er von einem Marschbefehl wusste und plante, sich der Verlegung zu entziehen oder er von einem Marschbefehl wusste und sich der Verlegung entzogen hat.

Die Planung, die Verlegung der Einheit zu verpassen, kann mit einer Entlassung wegen schlechter Führung und einer Haftstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden.

Das Verpassen der Verlegung der Einheit kann zu einer unehrenhaften Entlassung führen und mit einer Haftstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft werden.

Falldarstellungen

In den vergangenen Jahren haben nur wenige US-Militärs einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt. Der überwiegende Teil sah für sich keine andere Möglichkeit, als sich durch Unerlaubte Abwesenheit oder Desertion der Teilnahme am Krieg zu entziehen. Im Folgenden wollen wir einige Fälle darstellen.

Robin Long

Robin Long ging im Jahre 2003 zur US-Armee. 2005 erhielt er einen Marschbefehl für den Irak, als einziger Soldat aus seiner Einheit. Schon in den Monaten davor war er schockiert darüber, was ihm andere Soldaten nach ihrem Einsatz im Irak berichtet hatten. Sie hätten geprahlt, das „erste Mal getötet“ zu haben und zeigten Fotos von Leuten, die sie erschossen oder mit einem Panzer überfahren hatten. Nun nutzte er einen vierwöchigen Heimaturlaub, um sich über den Irakkrieg zu informieren. Am Tag seiner Verlegung hatte er die Entscheidung getroffen, dem Marschbefehl keine Folge zu leisten.

Robin Long floh wenig später nach Kanada und beantragte dort Asyl, da von ihm verlangt worden sei, sich an einem illegalen Krieg zu beteiligen. Er würde irreparablen Schaden erleiden, wenn er in die USA zurückkehren müsse. Sein Asylbegehren wurde abgelehnt. Am 15. Juli 2008 wurde er in die USA abgeschoben und dort unverzüglich verhaftet. Er wurde nach Artikel 85 UCMJ (Desertion) angeklagt, sich ohne Erlaubnis von seiner Einheit entfernt zu haben, mit der Absicht, dauerhaft fernzubleiben.

Am 24. August 2008 verurteilte ihn ein US-Militärgericht zu unehrenhafter Entlassung und fünfzehn Monaten Haft.6

Agustín Aguayo

Im Jahre 2003 ging Agustín Aguayo zum US-Militär. Nach der Grundausbildung kam er als Sanitäter mit seiner Einheit nach Schweinfurt. Anfang 2004 stellte er kurz vor seiner Verlegung in den Irak einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. Er wurde dennoch mit seiner Einheit ins Kriegsgebiet verlegt und musste dort unter anderem als Wache außerhalb des Stützpunktes Dienst leisten. Um seinem Gewissen zufolgen, so berichtete er später, lud er keine Patronen in sein Gewehr.

Im August 2004 wurde sein Antrag vom Militär ohne Begründung abgelehnt, obwohl sich seine Vorgesetzten für eine Anerkennung ausgesprochen hatten. Gegen die Entscheidung reichte Agustín Aguayo Klage vor einem zivilen Gericht in den USA ein. Anfang 2005 kehrte seine Einheit nach einjährigem Einsatz aus dem Irak nach Deutschland zurück.

Im August 2006 lehnte ein US-Gericht die Habeas-Corpus-Klage von Agustín Aguayo ab. Er legte gegen diese Entscheidung Berufung ein. Diese wurde am 16. Februar 2007 abgelehnt, unter anderem mit der Begründung, dass das Militär für die Entscheidung über Anträge zur Kriegsdienstverweigerung zuständig sei. Damit setzte sich das Urteil in Widerspruch zur bisherigen US-Rechtsprechung. Eine Revision wurde vom Obersten Bundesgericht der USA mit Entscheidung vom 18. März 2008 nicht zugelassen.

Im September 2006 wurde seine Einheit erneut in den Irak verlegt. Agustín Aguayo entzog sich der Verlegung, weil er keine andere Möglichkeit mehr sah, dem Gewissenkonflikt zu entgehen. Wenige Wochen später stellte er sich in den USA den Militärbehörden. Er wurde in das US-Militärgefängnis nach Mannheim überstellt und wegen „Desertion zur Vermeidung eines gefährlichen Einsatzes“ und „Verpassen der Verlegung der Einheit“ angeklagt. Am 6. März 2007 wurde er wegen „Desertion“ und „Verpassen der Verlegung der Einheit“ zu unehrenhafter Entlassung und acht Monaten Haft verurteilt. Amnesty international adoptierte ihn daraufhin als Gewissensgefangenen.7

Kevin Benderman

Kevin Benderman war vom März bis September 2003 Im Irak. Im Dezember 2004 stellte er einen Antrag, um als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden. Dieser Antrag wurde abgelehnt.

Kevin Benderman weigerte sich, einer erneuten Verlegung in den Irak im Januar 2005 nachzukommen. Er wurde wegen „Desertion“ und „Verpassen der Verlegung der Einheit“ angeklagt. Am 28. Juli 2005 wurde er vom Militärgericht zu unehrenhafter Entlassung und 15 Monaten Haft verurteilt.8

Camilo Mejía

Camilo Mejía, Staatsbürger Nicaraguas, ging 1995 zur US-Armee. Von April bis Oktober 2003 war er im Irak stationiert. Als Truppführer erlebte er, dass die Soldaten schlecht ausgerüstet waren, die Kommandeure sich als inkompetent erwiesen und US-Soldaten als Köder benutzt wurden, um irakische Aufständische zum Kampf zu motivieren. Außerdem musste er feststellen, dass viele Einsätze ohne Rücksicht auf zivile Opfer geführt wurden. Er lehnte auch die Misshandlungen von irakischen Gefangenen ab, die er im Dienst immer wieder beobachten musste.

Aus seinem Heimaturlaub kehrte er nicht mehr zur Armee zurück. Er war der erste Soldat, der öffentlich jeden weiteren Dienst verweigerte. Am 15. März 2004 stellte er sich dem US-Militär und übergab eine ausführliche Begründung für seine Kriegsdienstverweigerung. Er wurde wegen Desertion angeklagt.

Am 21. Mai 2004 wurde Camilo Mejía von einem Militärgericht zu unehrenhafter Entlassung und einem Jahr Haft verurteilt.9

James Burmeister

James Burmeister leistete Dienst im Irak, wo er aufgrund einer an einer Straße gezündeten Bombe schwere Verwundungen erlitt. Neben Verletzungen am Fuß und am Ohr litt er unter posttraumatischen Stresssyndromen (PTSD). Er wurde zur Behandlung zurück nach Deutschland geschickt Obwohl die Behandlung unzureichend war, sollte er erneut in den Irak gehen. Burmeister floh darauf hin im Mai 2007 nach Kanada.

Im März 2008 entschied er sich, in die USA zurückzukehren, mit der Hoffnung, aus dem Dienst entlassen zu werden und wegen PTSD behandelt zu werden. Stattdessen wurde er verhaftet und vor ein Militärgericht gestellt, da er sich unerlaubt von der Truppe entfernt habe. In dem Verfahren wurden seine öffentlichen Äußerungen zum Krieg, die er in Kanada abgegeben hatten, als Beweis gegen ihn verwandt.

Am 16. Juli wurde James Burmeister zu 9 Monaten Haft und unehrenhafter Entlassung verurteilt. Seiner Familie wurde mitgeteilt, dass er in der Haft keine Briefe, Anrufe oder E-Mails erhalten dürfe.10

Kimberly Rivera

US-Soldatin Kimberly Rivera war im Oktober 2006 mit ihrer Reserveeinheit in den Irak versetzt worden. „Ich war als Wache am Tor eingesetzt. Wir durchsuchten Autos, Zivilpersonen und Militärkonvois, die ständig rein und rausfuhren. Mir wurde schlagartig klar, was Krieg wirklich bedeutet: Menschen verlieren ihr Leben aufgrund der Machtgier eines Staates, Soldaten kommen zurück mit völlig neuen Problemen wie Albträumen, Angstzuständen, Depressionen, Angst, Alkoholmissbrauch, fehlenden Gliedmaßen oder Narben durch Verbrennungen. Einige kommen nie mehr zurück.“

Während eines zweiwöchigen Heimaturlaubs im Januar 2007 beschloss Kimberly Rivera, dass ihr nur das unerlaubte Entfernen von der Truppe blieb. Sie nahm aufgrund des schwierigen Verfahrens und der Ablehnung anderer Kriegsdienstverweigerer an, keine Anerkennung erreichen zu können. Zudem befürchtete sie, während des Verfahrens in den Irak zurückkehren zu müssen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren Kindern floh sie nach Kanada und beantragte dort Asyl.

2009 wurde der Asylantrag abgelehnt. Ihre Klage gegen die ablehnende Entscheidung wurde am 16. September 2012 vom kanadischen Bundesgericht zurückgewiesen, mit der Begründung, dass eine Inhaftierung durch das US-Militär rein „spekulativ“ sei.

Am 20. September 2012 stellte sie sich selbst an der Grenze den US-Militärbehörden. Sie wurde unverzüglich verhaftet und wenige Tage später nach Fort Carson, Colorado, überstellt. Am 29. April 2013 wurde sie zu einer Haftstrafe von 14 Monaten und unehrenhafter Entlassung verurteilt.11

Ryan Johnson

US-Soldat Ryan Johnson hatte sich 2005 einer Verlegung in den Irak entzogen und war nach Kanada geflüchtet, um dort Asyl zu beantragen. Sein Antrag wurde abgelehnt, so dass er sich im Juli 2016 selbst beim US-Militär stellte. Er wurde im Oktober 2016 zu 10 Monaten Haft und unehrenhafter Entlassung verurteilt.12

Beurteilung der Situation

Die Regelungen zur Kriegsdienstverweigerung in den USA stehen in Widerspruch zu den Empfehlungen, die zuletzt vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ausgesprochen worden sind. In der Entschließung A/HRC/RES/24/17 vom 27. September 2013 werden „unabhängige und unparteiische Entscheidungsgremien“ bei Anträgen auf Kriegsdienstverweigerung eingefordert. Hier widerspricht die Regelung des US-Militärs den Empfehlungen, zumal die Erfordernisse der Armee einen höheren Stellenwert haben, als die Anerkennung eines Kriegsdienstverweigerers.

Die Praxis, dass Anträge zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer in der eigenen Einheit behandelt werden, die Verfahren in der Regel Monate dauern und der Kriegsdienstverweigerer dem Risiko unterliegt, in ein Kriegsgebiet geschickt zu werden, führt zu einer zusätzlichen Einschränkung der Rechte der Antragsteller. Sie werden damit nicht nur unter Druck gesetzt, sondern auch in Situationen gebracht, die sie aufgrund ihrer Gewissensentscheidung gerade umgehen wollen. Hier ist z.B. auf den Fall von Agustín Aguayo zu verweisen, der während der Dauer des Verfahrens von seiner Einheit zu Wachdiensten eingeteilt wurde.

Angesichts dieser Situation sehen sich einige einem unlösbaren Gewissenskonflikt gegenüber und entscheiden sich daher, unerlaubt die Armee zu verlassen.

Es ist zusätzlich darauf aufmerksam zu machen, dass die Militärgerichte den Gewissenskonflikt der Verweigerer kaum berücksichtigen oder sogar gegen sie wenden. Die von den Verweigerern vorgebrachte Argumentation, dass sie sich einem illegalen Krieg entziehen oder dass sie Kriegsdienstverweigerer sind oder sich an einem bestimmten Krieg nicht mehr beteiligen können, schlägt sich weder in Freisprüchen noch in einer deutlichen Reduzierung der vom Gericht festgelegten Strafe nieder. Damit entzieht sich das US-Militär einer juristischen Prüfung, ob im Falle bestimmter Kriegseinsätze oder im Falle eines nicht vom Sicherheitsrat legitimierten Krieges die Befehlsverweigerung möglich ist.

Rechtsanwälte aus den USA, wie Tod Ensign, weisen auch darauf hin, dass, Soldaten mit abweichenden Positionen oft erheblichen Schikanen und Repressalien ausgesetzt sind.13 Wil S. Hylton kommt zu folgender Einschätzung: „Zur Hochzeit des Irakkrieges wurden weniger als 5% der DeserteurInnen vor Militärgerichten angeklagt, und weniger als ein Prozent wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. (...) Die einzigen DeserteurInnen, die grundsätzlich vom US-Militär strafrechtlich belangt wurden, sind diejenigen, die nach Kanada gingen. Alle kamen ins Militärgefängnis. (...) In den Verfahren gegen DeserteurInnen betonen die Staatsanwälte die öffentlichen Reden und Interviews der KriegsgegnerInnen in Kanada. (...) Angesichts des Kontrastes zwischen einer einprozentigen Chance der Bestrafung der Mehrzahl der Deserteure und einer nahezu hundertprozentigen Sicherheit bei denjenigen, die in Kanada Zuflucht gesucht haben, fällt es schwer, nicht den Schluss zu ziehen, dass das Militär ein Exempel an denjenigen statuiert, die aus dem Land nach Norden fliehen und sich öffentlich dazu bekennen.“14

Fußnoten

1 Wil S. Hylton: American Deserter. New York Times Magazin, 23. Februar 2015. Deutsche Fassung: Rundbrief „KDV im Krieg“, Offenbach/M., September 2015 (...mehr)

2 Rechtsanwälte Tod Ensign und James Klimaski, 21. Mai 2010

3 The New York Times vom 18. März 2005

4 Rechtsanwalt Tod Ensign, 21. Mai 2010

5 RITA, 23.5.1991. Deutsche Übersetzung in Rundbrief „KDV im Krieg“, Offenbach/M. Juli 1991

6 Rundbrief „KDV im Krieg“, Offenbach/M., September 2008

7 Rundbrief „KDV im Krieg“, Offenbach/M., März 2007

8 Broschüre: „USA: Stimmen gegen den Krieg“, Offenbach/M., Mai 2007

9 Rundbrief „KDV im Krieg“, Offenbach/M., Juli 2004

10 Rundbrief „KDV im Krieg“, Offenbach/M., September 2008

11 www.connection-ev.org/article-1706 (10.10.2012) und www.connection-ev.org/article-1830 (30.4.2013)

12 Courage to Resist: Ryan Johnson imprisoned for avoiding Iraq decade ago. 10. Oktober 2016

13 Rechtsanwalt Tod Ensign: 21. Mai 2010

14 Wil S. Hylton, ebd.

Rudi Friedrich: Kriegsdienstverweigerung und Desertion in den USA. Update, 1. Februar 2017. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2017

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