Rundbrief »KDV im Krieg« - September 2016

Rundbrief »KDV im Krieg« - September 2016

Kolumbien: "Kriegsdienstverweigerung ist eine Alternative zum Friedensaufbau"

von Julián Ovalle

Nach Jahren des Widerstandes wird in Kolumbien nicht mehr verlangt, einen Militärausweis vorzulegen, um einen akademischen Universitätsabschluss zu erlangen. Julián Ovalle berichtet von diesem Kampf und von seinen Folgen für die Gesellschaft Kolumbiens. Das Interview entstand noch vor der Friedensvereinbarung, die am 26. August 2016 zwischen Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) abgeschlossen wurde. Die Fragen stellte Javier Garate. (d. Red.)

Vorbemerkung

Julián Ovalle weigert sich seit mehr als 15 Jahren, Teil des Kriegsapparates in Kolumbien zu sein. Er erklärte seine Kriegsdienstverweigerung, sowohl für das Militär als auch für die Reserve der kolumbianischen Armee. Dieser Kampf blieb nicht ohne Folgen: Viele Jahre lang durfte er sich nicht Psychologe nennen und keine offizielle Berufslaufbahn ergreifen. Zugleich lebte er immer mit der Gefahr, vom Militär bei einer Razzia eingezogen zu werden. Dank des Erfolges der Kampagne „Frei vom Militärausweis“ (Libre de Libreta Militar), die erreichte, dass nicht mehr verlangt wird, einen Militärausweis vorzulegen, um ein Studium abzuschließen, konnte Julián schließlich seine Prüfung ablegen und sich auf eine Arbeit in dem Bereich bewerben, in dem er studiert hat.

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung war eines der wichtigsten Kampffelder der antimilitaristischen Bewegung in Lateinamerika. Besonders hervorzuheben ist dabei der Fall Kolumbiens, wo jedes Jahr etwa 100.000 junge Männer rekrutiert werden, oftmals in illegaler Weise durch Razzien. Kommandoeinheiten des Militärs sind mit Lastwagen unterwegs und entführen unterschiedslos junge Männer, um sie in Kasernen zu bringen und zum Militärdienst zu rekrutieren. Die Kollektive Aktion der Kriegsdienstverweigerinnen und -verweigerern von Bogotá (Acción Colectiva de Objetores y Objetoras de Conciencia de Bogotá, ACOOC), eine Gruppe, zu der Julián gehört, ist wesentlich dafür verantwortlich, dass der Kampf um die Kriegsdienstverweigerung in Kolumbien wichtige Siege errungen hat, wie die Aufhebung der Vorlage des Militärausweises. Die Bewegung hat auch erreicht, dass das Verfassungsgericht die Kriegsdienstverweigerung, die in der Verfassung garantiert wird, als Recht anerkannt hat.

Was ist der Militärausweis und welche Rolle spielt er in der kolumbianischen Gesellschaft?

Der Militärausweis ist eines der widerlichsten Dokumente, die die Armee von Kolumbien austeilt. In diesem Dokument ist deine militärische Situation in Bezug auf die Ableistung des Militärdienstes definiert. Der Militärdienst in Kolumbien ist eine relative Verpflichtung, denn es gibt verschiedene Ausnahmen im Gesetz für diejenigen, die den Dienst ableisten müssen. Der Militärdienst ist in Kriegszeiten für alle Männer verpflichtend. Ausgenommen davon sind die Indigenen und Untauglichen. In Friedenszeiten sind Familienväter ausgenommen, wie auch Söhne von Offizieren, die im Krieg Kolumbiens gefallen sind, durch die Gewalt vertrieben worden sind oder Untaugliche, die zurückgestellt sind. Die Verpflichtung ist zwar allgemein, wird aber durch das Gesetz relativiert. Pflicht ist allerdings, dass deine militärische Situation definiert und im Militärausweis eingetragen wird, entweder, weil du freigestellt bist oder weil du den Militärdienst abgeleistet hast.

Wer leistet den Militärdienst in Kolumbien ab?

Den Militärdienst leisten hauptsächlich die sozio-ökonomischen Schichten 2-3 ab. In Kolumbien werden die Schichten von 1 bis 6 unterschieden, und 1 ist die ärmste und 6 die reichste. Die Menschen der Schicht 1 leisten keinen Dienst ab, weil sie zu arm sind. Sie sind nicht registriert, leben auf der Straße oder in so randständigen Situationen, dass nicht einmal die Armee dort rekrutieren kann. Die höheren Klassen, 4, 5 oder 6, zahlen für Vermittler oder korrupte Militärs, die den Militärausweis ausstellen. Das ist allgemeine Praxis und es wird offen darüber gesprochen, wenn man einander fragt: „Hast du den Militärdienst geleistet oder den Militärausweis gekauft?“ Für Menschen, die ein Recht haben, vom Dienst ausgenommen zu werden, existieren Standards, wie viel man für den Pass zahlen muss. Die Schichten 2 und 3 werden nach einem Klassifikationssystem für Staatsdienste beurteilt, wo man ungefähr 45 Dollar zahlen muss. Für den Rest hängt es davon ab, wie reich man ist.

Von unserer Perspektive her ist die Bezahlung für den Militärausweis eine Art, den Krieg zu finanzieren. Die Information, die wir für das Jahr 2013 haben, besagt, dass die Armee etwa 27 Mio. Dollar darüber eingenommen hat. Das Schwerwiegende an der Sache ist, dass die Verwendung dieses Fonds rechtlich nicht geregelt ist. Das heißt, die Armee macht mit diesem Geld, wozu sie Lust hat, es gibt keine zivile Kontrolle über diesen Fonds. Wir in der ACOOC haben über Mitglieder des Kongresses mit Hilfe von Petitionen verlangt, dass man uns diese Information gibt. Aber sie weigern sich und sagen, dass das Geld zur freien Verfügung steht und dass sie die Information nicht geben werden. In einer Aktion haben wir gesagt, dass dieses Geld, diese Gebühr für militärische Kompensation unter ziviler Kontrolle stehen müsste und dass man dafür dieselbe Behandlung anwenden müsste, die man für die Steuern anwendet, denn so würde sie unter der Kontrolle des Wirtschaftsministeriums stehen, und dieses würde die Einnahmen auf verschiedene öffentliche Bereiche verteilen.

Im ACOOC wissen wir, dass die Armee viele Pfründe hat, wie Pensionen, Gesundheits- und Immobilienfonds. Keine andere arbeitende Klasse des Landes hat so viele Pfründe und es kann sein, dass der Fonds der Kompensationsgebühr verwendet wird, um diesen Pfründen zugute zu kommen, womit es einen weiteren sozialen Unterschied zu anderen Arbeitenden gibt. Wir wissen auch, dass es viele Formen gibt, mit denen der dunkle Teil des Krieges finanziert wird. Wir wissen, dass es eine enge Verbindung zwischen paramilitärischen Gruppen und der Armee in Kolumbien gibt, und da wir nicht wissen, wohin dieses Geld geht, ist zu vermuten, dass es auch verwandt wird, um paramilitärische Gruppen zu finanzieren.

Welche Konsequenzen hat der Militärausweis?

Der Militärausweis musste bei verschiedensten Gelegenheiten vorgelegt werden: bei der Ausstellung eines Führerscheins, der Arbeit im öffentlichen und privaten Sektor, um einen Reisepass zu erhalten, bei einer Anstellung im öffentlichen Dienst etc. Ein großer Teil davon ist im Zuge des verminderten Druckes der Armee auf die kolumbianische Gesellschaft aufgehoben worden. In den letzten Jahren ist der Militärausweis Bedingung gewesen, um eine Verwaltungslaufbahn im Staat zu machen und für den Universitätsabschluss. Im vergangenen Jahr ist durch eine Gesetzesänderung die Verpflichtung entfallen, den Militärausweis für den Universitätsabschluss vorzulegen.

Welche Folgen hatte es, wenn man keinen Militärausweis hatte?

In Kolumbien gibt es die Vorstellung, dass eine Person, die keinen Militärausweis hat, widerspenstig ist, starrköpfig, Verräter am Vaterland. In meiner Familie war es wirklich über Jahre hin ein Diskussionsthema, wie wichtig es wäre, dass ich einen Militärausweis habe, dass ich ein Sturkopf sei, dass ich mir selbst die Türen versperre. Was mir viele Jahre passiert ist, das passiert allen Jungen, sogar vielen in den unteren Klassen, denn „ohne Militärausweis kannst du nicht arbeiten, und wir haben es nötig, dass du arbeitest, um das Einkommen der Familie aufrechtzuerhalten.“ In meinem Fall war es eine Konfrontation mit ethischen Argumenten, und die war heftig. Viele Jahre lang war ich beunruhigt, ohne Militärausweis unter dem Risiko von Razzien auf die Straße zu gehen. Damals verlangten die Militärs gerade von jung Aussehenden den Militärausweis. Von daher wusste ich, wie ich die Militärs überreden und täuschen konnte, und ich wurde nie festgenommen. Ich habe den Militärdienst nicht geleistet und den Militärausweis verweigert. Ich habe meine Kriegsdienstverweigerung von einem antimilitaristischen Standpunkt her verteidigt von der Situation eines Opfers des bewaffneten Konfliktes. Denn mein Vater wurde Opfer eines Attentats, das ihn zwar nicht getötet hat, aber es war ein Attentat der kolumbianischen Armee. Die kolumbianische Justiz griff nicht ein, so dass es straflos blieb. Ich habe irgendwann aufgegeben, für einen Beruf zu studieren, denn man verlangte den Militärausweis, und für mich war es wichtiger, außerhalb der Reserve der Armee zu sein als einen Beruf zu haben. Im Jahr 2000 habe ich mich an der Universität eingeschrieben, und 2006 habe ich aufgehört zu studieren mit dem Gedanken: Warum soll ich noch weiter studieren, wenn sie von mir den Militärausweis verlangen. Ich werde dieses Spiel nicht mitspielen. Ich schrieb eine Abschlussarbeit in Psychologie und ließ sie liegen, ich exmatrikulierte mich. 2011 sagten sie mir, ich sollte ein paar Fächer mehr machen. Das brauchte ein weiteres Jahr, und ich vollendete 2011 meine Abschlussarbeit, aber erst mit der Änderung des Gesetzes im vergangenen Jahr (2014) konnte ich mich schließlich graduieren.

Wie ging der Wandel in der Gesetzgebung vor sich?

In Kolumbien existiert das Gesetz für die Öffentliche Ordnung, das sie seit 1997 immer wieder geändert haben, als die Verhandlungen zwischen der Guerilla von den FARC und der Regierung von Andrés Pastrana begannen. Das Gesetz ist ein juristischer Markstein, der den Verhandlungen mit den bewaffneten Gruppen einen juristischen Rahmen gab.

Im vergangenen Jahr, als Ergebnis des Druckes der Bewegung für Kriegsdienstverweigerung, sah die Kongressabgeordnete Angélica Lozano von der Grünen Partei eine Gelegenheit, eine Überarbeitung des Gesetzes zu nutzen. Nachdem sie mit der Bewegung über die Problematik des Militärausweises gesprochen hatte, schlug sie vor, einen neuen Artikel einzufügen, mit dem die Voraussetzung abgeschafft wurde, dass zur Erreichung eines Grades höherer Bildung ein Militärausweis vorgelegt werden muss.

Bei der Verabschiedung des Gesetzes über Öffentliche Ordnung ist der Vorschlag dann einstimmig angenommen worden. Und das Verteidigungsministerium muss akzeptieren, dass das ein Fortschritt in Hinblick auf die Rechtsgarantien ist und dass es ein Zeichen des Willens der Armee und der Regierung ist, mit dem Thema der FARC und den Rechtsgarantien für Kolumbianer weiterzukommen. Von der Perspektive des Prozesses des Antimilitarismus in Kolumbien ist es ein sehr konkreter und positiver Schritt, der auch ein Szenario für Gelegenheiten bietet, dass die weiterhin bestehende Regelung, dass für die Arbeit im öffentlichen Dienst ein Militärausweis vorgelegt werden muss, diskutiert und in Frage gestellt wird.

Welche Aktivitäten führte ACOOC in Bezug auf den Militärausweis durch?

Vor einiger Zeit planten wir eine Kampagne mit dem Titel „Frei vom Militärausweis“, und im Rahmen dieser Kampagne haben wir mit verschiedenen sozialen Akteuren gesprochen, unter anderen mit der Kongressabgeordneten Angélica Lozano, die diesen Antrag in den Kongress eingebracht hat. Wir haben auch mit Universitäten gesprochen, mit privaten Unternehmern, damit sie in kleinen Pilotprojekten Kriegsdienstverweigerer ohne Militärausweis einstellen. Wir waren mitten in diesem Prozess und sagten den Universitäten, sie sollten das Argument der Verfassungswidrigkeit anwenden. Es bedeutet, dass die Organe des Staates die Verpflichtung haben, in bestimmten Fällen Ausnahmen zuzulassen, in denen die Verfassung verletzt wird. Unser Argument war, dass unsere Rechte als Kriegsdienstverweigerer verletzt seien, solange kein Gesetz existiert, das den Militärausweis regelt. Denn trotz Anerkennung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung von Seiten des Verfassungsgerichtes wurde unser Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht anerkannt. Also war dies ein besonderer Fall, in dem sie eine verfassungsmäßige Ausnahme machen sollten, damit wir das Examen ablegen können. Wir waren mit unserer Kampagne schon weit fortgeschritten, als sich die Möglichkeit der Gesetzesänderung ergab und wir unsere Strategie änderten.

Wie setzt ACOOC die Kampagne „Frei vom Militärausweis“ nach der Gesetzesänderung fort?

Was wir machen ist, konkreten Fällen von Mitgliedern der ACOOC nachzugehen. Darüber erzeugen wir Präzedenzfälle, damit es strukturelle Veränderungen im Hinblick auf den Militärausweis gibt. Das ist die aktuelle Strategie. Wir hatten als Teil der Kampagne auch mit der schwedischen Botschaft und mit schwedischen Unternehmern in Kolumbien gesprochen, um ohne Militärausweis eingestellt zu werden, was innerhalb der Kampagne geschieht. Diese Strategie ist jetzt sehr viel schwieriger geworden. Die Unternehmer und die Botschaft waren anfangs interessiert, aber jetzt nicht mehr, weil sie sagen, das würde ein diplomatische Probleme nach sich ziehen.

Wie fügt sich die Kampagne gegen den Militärausweis in die breiteren Kampagnen gegen den Militärdienst und für die Kriegsdienstverweigerung ein?

Von der ACOOC sagen wir, dass es eine Unvereinbarkeit zwischen der Kriegsdienstverweigerung und dem Militärausweis gibt: im Hinblick auf die nationale Reserve steht jeder, der den Militärausweis hat, der Armee als Reservist zur Verfügung, ob er den Militärdienst abgeleistet hat oder nicht. Daher verbindet sich innerhalb der Kampagne für die Kriegsdienstverweigerung die Kampagne gegen den Militärausweis mit der Verweigerung des Reservedienstes. Nun wollen wir das Recht auf Kriegsdienstverweigerung bekannter machen. Jetzt führen wir direkte Aktionen für Öffentlichkeit und Sensibilisierung durch, entwickeln pädagogische Aktivitäten in Oberschulen und in verschiedenen Orten des Landes und informieren über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und die gesetzlichen Grenzen, die der Armee gesetzt sind, um junge Männer zu rekrutieren.

Wir nutzen auch den Kontext der Verhandlungen mit den FARC und dem angefangenen Friedensprozess, der in Kolumbien läuft, und sagen: Gut, wir reden vom Aufbau des Friedens und wie wir die Rolle des Militärdienstes sehen. Was wir vorschlagen, ist, einen Sozialdienst einzurichten, also nicht nur einen Militärdienst, sondern einen Sozialdienst in verschiedenen Institutionen des Staates und auch in Gemeindeorganisationen und Nichtregierungsorganisationen. Wer den Sozialdienst ableistet, würde zugleich die Dienstpflicht für das Vaterland erfüllen, eine Verpflichtung der Verfassung.

Wir denken, dass es ein strategischer und sehr wünschenswerter Schritt ist, dass es einen Sozialdienst unabhängig vom Militär gibt. Der Militärdienst existiert weiter. Derjenige, der ihn machen will, kann das tun. Wer aber eine andere Art von Dienst machen will, soll Sozialdienst ableisten können. Wir nennen das Sozialdienst für den Frieden.

Wir glauben, dass es im Moment ein politisches Klima gibt, damit das Thema Sozialdienst für den Frieden mehr Resonanz im Kongress findet. Ein Sozialdienst wäre ein strategischer Schritt, um dann, wie in anderen Ländern, z.B. Spanien, weiteren zivilen Ungehorsam für den Frieden zu leisten.

In welcher Lage befindet sich derzeit die Bewegung für Kriegsdienstverweigerung in Kolumbien?

In Kolumbien gibt es verschiedene politische und soziale Organisationen, die zur Kriegsdienstverweigerung arbeiten und Aktionen entwickeln. Die soziale Bewegung in Kolumbien ist sehr komplex und hat viele Gruppierungen und Plattformen. Es gibt große Zusammenschlüsse sozialer Bewegungen. In diesen Plattformen ist die Kriegsdienstverweigerung als eine Alternative anerkannt. Und es gibt kleine Gruppen im ganzen Land, die zum Thema Kriegsdienstverweigerung arbeiten, mit Kulturaktionen und gemeinsamen Erklärungen von Kriegsdienstverweigerern. Es gibt Gruppen, die an Rekrutierungstagen hingehen, um die Menschen über ihre Rechte zu informieren. All dies weist darauf hin, dass es eine große gegenseitige Verflechtung der Kriegsdienstverweigerung und des Antimilitarismus‘ mit der kolumbianischen sozialen Bewegung gibt. Es gibt auch immer mehr junge Männer, die bereit sind, sich als Kriegsdienstverweigerer zu erklären.

Welche Rolle spielt und kann in der Zukunft die Bewegung für die Kriegsdienstverweigerung innerhalb des kolumbianischen Konfliktes spielen?

Was wir der Gesellschaft zeigen wollen, ist, dass dies ein Prozess ist, der nicht nur während der Friedensverhandlungen auftritt, um den bewaffneten Konflikt zu beenden, sondern dass es ein Prozess ist, der einen langen Weg erfordert. Die Rolle, die jetzt die Bewegung für Kriegsdienstverweigerung spielt, ist, eine soziale Frage sichtbar zu machen, die bisher vor allem durch die Rechtsfrage bestimmt war, verbunden mit dem Thema des politischen Einsatzes der Gewaltfreiheit.

Die Kriegsdienstverweigerung ist eine Alternative zum Militarismus und ein Beitrag zum Friedensaufbau. Es ist nicht so, dass eine Regierung kam, die Frieden machen wollte und dann wird auch die Kriegsdienstverweigerung anerkannt. Es ist vielmehr ein Prozess, der von der organisierten Zivilgesellschaft angestoßen worden ist und eine Verantwortung, die der kolumbianische Staat seit Jahren vernachlässigt hat, obwohl es eine Bewegung gibt, die ununterbrochen diesen Respekt eingefordert hat. Jetzt, in einer Zeit des Post-Konflikts, sind die Herausforderungen konkrete Engagements für einen Friedensdienst und die Entmilitarisierung der Bildung.

Wo sind Deiner Einschätzung nach die Schlüssel, um den Konflikt und den Militarismus in Kolumbien zu beenden?

Für mich liegt der Schlüssel darin, wie die kolumbianische Gesellschaft sich von der irrigen Botschaft befreien kann, dass jetzt, wo sie einen Waffenstillstand mit einer bewaffneten Gruppe unterschreiben, der Friede gekommen ist. Die Militarisierung hat den sozialen Konflikt erzeugt. Das Maß der Militarisierung ist nicht allein daran zu messen, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anerkannt wird, wie positiv auch immer es ist. Die Gesellschaft sollte verstehen, dass die Militarisierung ein Werkzeug zur wirtschaftlichen und territorialen Kontrolle Kolumbiens ist.

Wir haben den Eindruck, dass die kolumbianische Gesellschaft nicht verstanden hat, warum es Militärs in bestimmten Sektoren Kolumbiens gibt. Wer sich das genauer anschaut, sieht eine fast direkte Verbindung mit dem Bergbau und den multinationalen Konzernen, die die natürlichen „Ressourcen“ ausbeuten. Auch wenn ein Friedensvertrag unterschrieben ist, muss die Erkenntnis da sein, dass die territoriale Kontrolle Kolumbiens von der Armee instrumentalisiert wird und dass dieses neoliberale Projekt, z.B. im Bergbausektor keine Voraussetzung für eine größere soziale Gleichheit bietet.

Daher ist der Schlüssel darin zu sehen, dass der Friedensprozess ein Ausgangspunkt ist, um anzufangen, eine in jeder Hinsicht entmilitarisierte Gesellschaft zu denken, territorial, juristisch, institutionell. Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt. Es ist sehr schwierig, ein Konzept Frieden zu verstehen. Es wäre klarer und es würde die Sache mehr auf den Punkt bringen, von gewaltfreier Aktion und von der Entmilitarisierung des Lebens zu sprechen. Denn man kann ein Land, das im Krieg gelebt hat, eher verwirren, wenn man nichts anderes tut, als nur einen Friedensvertrag zu unterschreiben.

Entrevista con el Objetor de Conciencia Julián Ovalle: Colombia Libre de Libreta Militar. 3. Juni 2016. In: Red Antimilitarista de América Latina y el Caribe, www.ramalc.org. Übersetzung: Gerd Büntzly. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2016

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