Südkoreanischer Wehrpflichtiger erklärt: „Ich verweigere!“

von Lee Gil-jun

(27.07.2008) Ich leiste meine Wehrpflicht als Polizist ab und erkläre hiermit meine Kriegsdienstverweigerung. Ich weigere mich, wieder zu meiner Einheit zurückzukehren.

Widerstand ist für mich eine Sache, um die Subjektivität meines Selbst zu leben. Deiner inneren Stimme zuzuhören, die Werte für richtig anzusehen, an die du glaubst, ein buntes Leben zu haben und mit anderen in Harmonie zusammenzuleben - all das sind Dinge, die jedem bedeutungsvoll sind. Und wenn dann etwas dein Leben unterdrückt, siehst du es und widerstehst. Das, so glaube ich, ist der Weg, um ein erfülltes Leben zu leben. Also lege ich mein altes Selbst ab, was mich auf den Weg der Unterdrückung geführt hatte, und gehe voran, um mich durch den Widerstand selbst zu finden.

Wenn ich meiner Gesellschaft dienen muss, will ich etwas tun, was für mich und die Gesellschaft wirklich Bedeutung hat. Nachdem ich lange darüber nachdachte, war mein Weg, mich der Polizei als Wehrpflichtiger anzuschließen. Aber es stellte sich heraus, dass es ganz anders war, als ich erwartete. Manche mögen mich kritisieren und sagen, dass ich nicht zu meiner Entscheidung stehe. Aber ich denke, dass mir das nicht das Recht verwehrt, ungerechte Befehle zu verweigern.

Als Polizist für die Aufstandsbekämpfung realisierte ich, dass wir von den Befehlshabern jederzeit in unerwünschte Situationen gebracht werden können. In den letzten Monaten sah ich als Polizist die Proteste mit Lichterketten und es ging mir nicht mehr aus dem Kopf. All das, was die Menschen mit Kerzen in ihren Händen sagten - „Stoppt die Importe von US-Fleisch“, „Keine Privatisierung von staatlichen Firmen und öffentlichem Gesundheitswesen“, „Schulausbildung ohne harte Konkurrenz“ - all das hörte sich für mich wie eine Stimme an. Sie sagten, dass die Regierung unser Leben in jedem Moment bedrohen könne - und sie wollten dagegen aufstehen.

Bei den Lichterkettenaktionen kamen verschiedene Stimmen für ein gemeinsames Ziel zusammen. Es gab viele verschiedene Ansichten, aber es war nicht eine Atmosphäre des Streites, es war für die Menschen viel mehr wie ein Fest, für sie selbst und für das Wohl der Gesellschaft. Aber die lebensbedrohende Regierung zeigte keine Anstalten, in Dialog zu treten. Stattdessen zwangen sie junge Männer in Polizeiuniformen in Situationen, in denen sie gegen die Mitbürger kämpfen mussten. Sollen wir die Bürger unterdrücken, als ob sie unsere Feinde wäre? Alle von uns wollten einfach zwei Jahre unserer Gesellschaft und unseren Familien dienen. Niemand von uns sah es als seine Aufgabe an, normale Menschen anzugreifen, die auf den Straßen demonstrierten. Die Regierung erzählte uns zwar, dass die Protestierenden nicht unsere Feinde seien, aber das war völlig heuchlerisch. Tatsächlich wollten sie, dass wir sie als Feinde behandeln und jederzeit zu einem gewalttätigen Durchgreifen bereit sind.

Wenn man mit einer unsichtbaren Kraft konfrontiert ist, wie mit vom System angeordneten Befehlen, wird ein Individuum völlig machtlos. Als ich mit dem Schutzschild da stand und mit den Bürgern konfrontiert war, als ich Handlungen voller Gewalt beging oder dabei half, die Gewalt fortzuführen, konnte ich überhaupt nicht daran denken, gegen die Befehle zu verstoßen. Alles, was ich tun konnte, war, das Leid wahrzunehmen. Das ging allen Aufstandspolizisten so. Wir ließen unseren Ärger an den Protestierenden aus, unseren sogenannten „Feinden“, und rechtfertigten unsere Handlungen und versteckten unsere Schmerzen, während die Mächtigen, die uns an erster Stelle hierher geführt hatten, nirgendwo zu sehen waren.

Als die Tage vorbei waren, fühlte ich, dass mein Sinn für Humanität zu Asche geworden war. Als ich in die Operationen voller Unterdrückung geschickt wurde, als ich auf unbestimmte Zeit die Straßen bewachte, selbst als ich die Beschwerden und den Spott der Leute hörte, war es schrecklich für mich, die Tatsache zu akzeptieren, dass ich den Befehlen gehorcht hatte, ohne irgendetwas zu sagen. Ich konnte die anstrengende Zeit der Arbeit und die körperlichen Qualen ertragen, aber es wurde schlimmer, wenn ich daran dachte, was ich tat, wenn ich mich fragte, was ich eigentlich versuchte zu schützen. Niemand sprach über so etwas. Aber ist es in Ordnung, 20-jährige junge Männer als Werkzeug einer gewalttätigen Unterdrückung zu benutzen zur Aufrechterhaltung der sozialen „Ordnung“ und „Sicherheit“? Wer garantiert die Rechtmäßigkeit dessen?

In dieser schwierigen Zeit versuchte ich der Realität auf verschiedene Art und Weise zu entfliehen. Aber es traf mich immer wieder. Davonlaufen war keine Antwort. So lange ich auf dieser Seite der Proteste stand, würde ich immer Teil der Unterdrückung sein und es wäre nur ein Akt, sich den Dingen zu ergeben.

Die einzige Möglichkeit, um meine Wunden als Täter und Opfer zu heilen, und mein Leben wieder auf den richtigen Weg zu führen, ist Widerstand. Wenn ich zurückschaue, sehe ich, dass ich ein Leben voller Kompromisse geführt habe, niemals Widerstand gegen Dinge leistete, die mich unterdrückten. Ich sehe dies hier als Wendepunkt meines Lebens.

Ich werde meinen Widerstand fortführen, aber ich wünsche mir, dass es mehr Menschen gibt, die beginnen, jeder Form der Unterdrückung ihres Lebens zu widerstehen. Ich hoffe, dass das gegenwärtige System der immer wiederkehrenden Gewalt zu einem Ende kommt.

Lee Gil-jun: I Resist! 27. Juli 2008. Übersetzung: transpeace (transpeace(at)gmail.com) und Rudi Friedrich. Auszüge. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Broschüre »Kriegsdienstverweigerung in Südkorea«, Juni 2010

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