Gewaltlos gegen den Krieg - Das Jugendnetzwerk Red Juvenil in Medellín

Redebeitrag auf der 8. Münchner Friedenskonferenz

von Alejandra Londoño

Folgenden Redebeitrag hielt Alejandra Londoño von Red Juvenil Medellín auf der Friedenskonferenz in München im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kolumbien: Kriegsdienstverweigerung und Gewaltfreiheit“. (d. Red.)

Heute teilen wir einen Gedanken: Den, dass alle Menschen auf der Erde die Möglichkeit haben müssen, ein Leben in Würde zu führen. Aber es gibt etwas, das wir nicht teilen: Was Krieg betrifft, so können Sie von der Vergangenheit sprechen, wir jedoch leben mitten darin: in einem Krieg, der in Kolumbien nun schon mehr als 50 Jahre andauert.

Wenn ich von Kolumbien spreche, dann spreche ich bezüglich des Territoriums von einem Land, aber in kultureller Hinsicht von vielen Ländern. Die Grenzen des Landes wurden uns aufgezwungen durch die Kolonialmacht und im Lauf der Geschichte beibehalten von der kolumbianischen Elite, die nur einen kleinen Teil der Bevölkerung ausmacht.

Die Regierungen versuchen in den Grenzgebieten zu den Nachbarländern, Gemeinschaften auseinander zu reißen, die sich kulturell zusammengehörig fühlen und in denen es immer Verbindungen der Solidarität, der Brüderlichkeit und der gegenseitigen Hilfe gegeben hat.

Im Osten grenzt Kolumbien an Venezuela, im Südosten an Brasilien, im Süden an Peru und im Nordwesten an Panama. Sie haben sicher von den aktuellen Problemen gehört, die sich zwischen Kolumbien und seinen Nachbarn Venezuela, Ecuador und Bolivien ergeben haben. In den Grenzgebieten dieser Länder gibt es Ortschaften, in denen die gegenseitige Hilfe und die Solidarität immer vorhanden waren. Heute schafft der Krieg, den die Regierungen führen, hier große Probleme.

Gewalt geht von verschiedenen Gruppen aus

Zur Zeit gibt es in Kolumbien die folgenden bewaffneten Gruppen: Zwei Guerillagruppen - zum einen die so genannten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und zum anderen das so genannte Nationale Befreiungsheer (ELN). Es existieren außerdem Paramilitärs, das sind illegale bewaffnete Gruppen der Rechten. Es sind zudem Verbrecherbanden aktiv, die sich in den Armenvierteln der großen Städte gebildet haben, vor allem als Folge des Drogenhandels. Und für Red Juvenil gibt es zwei andere bewaffnete Akteure, die besonders stark die Rechte von Jugendliche verletzen: Armee und Polizei.

Aus der Sicht von Red Juvenil verletzen alle Gruppen permanent die Menschenrechte. Wir sind der Meinung, dass der Kampf mit Waffen keinen wirklichen Ausweg aus dem Konflikt darstellt - nicht für die Regierung und auch nicht für die bewaffneten Gruppen am Rande des Gesetzes.

Aber es ist notwendig zu erwähnen, dass der Konflikt in Kolumbien eine Geschichte hat und die Gründe und Motive für die Erhebung der bewaffneten Gruppen jeweils verschieden sind.

Abgesehen davon leiden wir seit der Kolonialzeit unter der Einmischung aus dem Ausland.

Reichtum ist in den Händen einer kleinen Minderheit

In den ländlichen Gebieten Kolumbiens versuchte die Guerilla Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts eine Landreform zu erreichen, eine bessere Verteilung des Bodens und des Reichtums. Beides ist bisher in den Händen einer kleinen Minderheit.

Bei den Paramilitärs handelt es sich um ein illegales Heer der Rechten. Es hat sich als Antwort auf die Guerilla gebildet. Die Paramilitärs versuchten anfangs vor allem, die ausgedehnten Ländereien der Großgrundbesitzer zu schützen. Sie gehen bei den meisten ihrer Aktionen gegen die Zivilbevölkerung vor und kämpfen keineswegs gegen die Guerilla oder die Armee, wie gegenüber dem Ausland immer behauptet wurde. William Ospina schreibt am 13 Januar 2008 in der Zeitschrift Cromos unter dem Titel Die Paradoxien des nicht existierenden Konflikts: „Die Regierung, erleuchtet durch die Weisheit von José Obdulio Gaviria (eines Präsidentenberaters), hält daran fest, dass es in Kolumbien keinen bewaffneten Konflikt gibt, sondern nur die Verfolgung von Terroristenbanden mit der Waffengewalt des Staates“.

Mit dem Drogenhandel, von dem Sie bestimmt schon gehört haben, sind seit Beginn der 90er Jahre sehr viele Verbrecherbanden entstanden, vor allem in den Städten. Diese Banden versorgen Jugendliche mit Waffen und bilden sie im Umgang mit diesen Waffen aus.

Zivilbevölkerung ist immer das erste Opfer

Im Krieg in Kolumbien, den all die genannten Gruppen führen, war immer die Zivilbevölkerung das erste Opfer. Und sie ist es noch. Das gilt für die ländlichen Gebiete, wo die meisten Kämpfe stattfinden und wo viele Menschen vertrieben werden oder einfach verschwinden. Das gilt aber auch für die Städte, in denen vor allem Jugendliche täglich von den Rekrutierungsaktionen der Armee und der Paramilitärs betroffen sind. Die Jugendlichen leiden auch unter dem Mangel an Bildung. Für viele gibt es keinen Zugang zu den Schulen und den Universitäten. Es gibt außerdem zu wenig Wohnungen, viele Menschen in Kolumbien haben kein Dach über dem Kopf. Viele haben keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung und viele hungern.

Die Mehrheit der Menschen, die in Medellín leben, sind Vertriebene vom Land. Sie sind konfrontiert mit einer feindlichen Stadt, die sie nicht als Bürger anerkennt.

Wir von Red Juvenil sind der Meinung, dass der bewaffnete Konflikt in Kolumbien entstanden ist und weiter besteht, weil die Regierung und die Klasse der Besitzenden sich weigern, für eine gerechte Verteilung der Reichtümer des Landes zu sorgen.

Armee und Paramilitärs schützen Interessen ausländischer Firmen

Außerdem gibt es in Kolumbien seit der Kolonialzeit ausländische Firmen, die die natürlichen Reichtümer des Landes ausbeuten. Diese Firmen werden heute von der Armee und den Paramilitärs geschützt, und zusätzlich von Soldaten aus den USA. Von den US-Soldaten bekommen die kolumbianischen Militärs auch viele Informationen.

Im Moment ist man in Kolumbien dabei, insgesamt sieben US-Basen in allen Teilen des Landes aufzubauen. Aus unserer Sicht sollen diese US-Basen dazu dienen, in Staaten wie Venezuela, Ecuador und Bolivien zu intervenieren. Dort waren die USA in der Vergangenheit präsent, aber sie haben ihren Einfluss, sie haben ihre wirtschaftliche, politische und militärische Führungsrolle inzwischen verloren. Und Kolumbien ist heute ein offenes Tor für neue Interventionen der USA in Lateinamerika.

Notwendig sind Verhandlungen über soziale und politische Fragen

Um von der Entmilitarisierung in Kolumbien zu sprechen, müssten wir zuerst wieder Verhandlungen auf die öffentliche Tagesordnung setzen, bei denen es um soziale und politische Fragen im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt geht. Aber es müssten wirkliche Verhandlungen sein und nicht solche, wie sie Präsident Uribe geführt hat, die keine realen Auswirkungen auf das tägliche Leben derer haben, die in Kolumbien leben.

Die sozialen Bewegungen können nicht ignorieren, dass die gegenwärtig Regierenden weiterhin eine essenzielle Rolle für die Politik von Krieg und Frieden spielen. Und wenn sich in der politischen Sphäre nichts ändert, werden viele der Bemühungen um eine Entmilitarisierung der Alltagswelt bei den Regierenden, die wir leider weiterhin haben werden, keinen Widerhall finden.

Der kolumbianische Konflikt hat ganze Generationen hervorgebracht, die mitten im Krieg geboren wurden. Die Erzeugung von Angst und die Beseitigung von Menschen dienen als Strategien, um Macht und Anerkennung zu erreichen. Die Bevölkerung ganzer Ortschaften ist so dem Willen des einen oder des anderen Akteurs ausgeliefert. Sie leidet, weil dieser Akteur aktiv am Konflikt beteiligt ist - entweder aufgrund politischer Überzeugung oder aufgrund rein finanzieller Interessen.

Kriegsparteien finanzieren sich durch Drogenhandel

Sowohl die Guerillagruppen als auch die Paramilitärs und die Armee finanzieren sich mit Einkünften aus dem Drogenhandel.

Die Vermischung eines sozialen und politischen Konflikts mit der Ökonomie des Drogenhandels hat dazu geführt, dass es ganze Armeen gibt, die dem Höchstbietenden dienlich sind.

Diesen stehen bewaffnete Gruppen gegenüber, die noch um die Macht im Land kämpfen, die sich aber ebenfalls durch Drogengeschäfte finanzieren. Pazifistische und antimilitaristische Bewegungen stellen ihre Mittel und Ziele ernsthaft in Frage, da sie im Grunde dieselben Strategien einsetzen wie die Unterdrücker: Drohungen, Rekrutierungen oder Einflussnahme auf das Alltagsleben der Bewohner der Gebiete, in denen sie sich aufhalten.

Bewaffneter Kampf ist kein vernünftiger Weg

Auch wenn es eine große Auseinandersetzung und natürlich Differenzen zwischen den bewaffneten Akteuren gibt, was die Intentionen und die Vorgehensweise betrifft, so müssen sich die antimilitaristischen Bewegungen über folgendes im Klaren sein: Wenn man die strukturellen Ursachen des Konflikts begreift, kann der bewaffnete Aufstand kein Weg für Kolumbien sein. Denn die Konstante ist gerade die, dass alle die eigene Bewaffnung damit rechtfertigen, dass sie sich gegen Angreifer verteidigen müssten.

Die Herausforderung besteht in einem Land wie dem unseren darin, Ideen umzusetzen, damit die Macht nicht mehr delegiert wird, sondern selbst ausgeübt wird. Eine Macht, die darüber hinaus für etwas eingesetzt und nicht über jemand ausgeübt wird, wie das der alten Tradition entspricht.

Es ist unumgänglich, die früheren Interventionen der USA in Kolumbien zu untersuchen. Der Aufbau der Militärbasen in den letzten Monaten fordert dies geradezu heraus, darf aber nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr ist dieses Phänomen als eine permanente Rahmenbedingung zu sehen, an die die kolumbianische Politik in den letzten 60 Jahren gebunden gewesen ist.

Red Juvenil - wie Jugendliche Widerstand gegen den Krieg leisten

Red Juvenil wurde 1991 in Medellín gegründet, als Arbeitsplattform, damit sich verschiedene Führungspersonen und Jugendgruppen aus den Armenvierteln der Stadt und des Umlands zusammenschließen konnten. Red Juvenil besteht ausschließlich aus Jugendlichen und jedes Jahr kommen neue hinzu.

In einer Zeit, in der die Gewalt der Drogenhändler gerade einen Höhepunkt erreichte, ging es zunächst darum, Gefühle zu teilen und Überlegungen zur konfliktiven sozialen, wirtschaftlichen und politischen Situation auszutauschen.

Das geschah angesichts einer Situation, in der sich Jugendliche genötigt sahen, sich permanent zu bewaffnen und am Krieg zu beteiligen. Red Juvenil setzte dem eine andere Alternative entgegen.

In den ersten Jahren konzentrierte Red Juvenil sein Handeln auf die Stärkung der Selbstorganisation von Jugendlichen und die Positionierung der Jugendbewegung. Die Jugendlichen sollten kritikfähig werden und es sollte ihnen ermöglicht werden, Alternativen zum bewaffneten Konflikt zu entwerfen, die sich von den Stadtvierteln auf die nationale Ebene ausbreitete.

Kriegsdienstverweigerung und Antimilitarismus

Zwischen 1995 und 1997 entwickelte sich Red Juvenil zu einer Organisation von Jugendgruppen, die einen Beitrag zur sozialen Bewegung leisten, und zwar mittels Integration, politischer Bildung und öffentlicher Aktionen. Zur gleichen Zeit begann man auf dem Gebiet der Kriegsdienstverweigerung und des Antimilitarismus zu arbeiten. Und die ganze Organisation verpflichtete sich auf das Prinzip der Gewaltfreiheit.

In den Jahren 1998 bis 2002 beschäftigte man sich bei Red Juvenil mit politischen Überlegungen zur sozialen Bewegung von Jugendlichen. Ebenso wurde das Thema des zivilen Ungehorsams stärker behandelt. Die erste gewaltfreie direkte Aktion gab es im Jahr 2000.

Ende 2003 wurde die Organisationsform der regionalen Netzwerke in den Vierteln aufgegeben. Die Priorität lag jetzt auf der Bildung von Themengruppen oder von Jugendgruppen, die sich mit Ideen zur Transformation des täglichen Lebens und der politischen und sozialen Situation beschäftigen.

Brutale Zwangsrekrutierungen

Ab 2004 konsolidierten sich die Themengruppen, die sich - ausgehend von ihren lokalen Bezügen - der Transformation des Landes in sozialer, politischer und finanzieller Hinsicht verschrieben. Die Bemühungen um die Verbreitung der Kriegsdienstverweigerung wurden verstärkt, es ging darum, dass sich Menschen in Medellín zu Verweigerern erklären. Und es begannen bedeutende Aktivitäten in Gemeinden im Osten, Nordosten und Westen des Verwaltungsbezirks Antioquia, in dem Medellín liegt. In diesem Bezirk leiden die Jugendlichen besonders stark unter den Zwangsrekrutierungen von Militär und paramilitärischen Gruppen.

Das Militär verletzt ständig die Rekrutierungs-Gesetze. Es postiert sich mit Lastwagen am Ausgang von öffentlichen Parks, vor Kirchen und Konzerthallen. Die jungen Männer, die herauskommen, werden einfach eingefangen, auf die Lastwagen geladen und schon am nächsten Tag sind sie bei der kämpfenden Truppe.

Mehr Geld für Soziales, weniger fürs Militär !

Es wurden von Red Juvenil auch Verbindungen zu Aktivitäten in ländlichen Gebieten hergestellt und zwar besonders zu Friedensdörfern und Gemeinden, die sich im Widerstand befinden. Man begann damit, das Thema Antimilitarismus mit dem Problem der strukturellen Gewalt und folglich mit dem neoliberalen Wirtschaftsmodell zu verknüpfen. Es wurden Untersuchungen und Bildungsaktivitäten gestartet, bei denen es z.B. darum ging, „wie das neoliberale Modell die männlichen und weiblichen Jugendlichen Medellíns beeinflusst“. Und es gab Aktionen, die auf die Forderung gerichtet waren: Mehr soziale Investitionen und weniger Militärausgaben.

In den letzten Jahren hat Red Juvenil erreicht, dass es einen offeneren Diskurs über die kolumbianische Wirklichkeit gibt. Und Red Juvenil hat die Methode des gewaltfreien Kampfes neu geschaffen als eine Form der Diskussion, des Forderns und der Mobilisierung für eine soziale, ökonomische und politische Transformation des Landes.

Heute sind wir eine Organisation, durch die sich verschiedene Gruppen, Kollektive und Jugendverbände artikulieren - ausgehend von unterschiedlichen Thematiken. Sie haben die Fähigkeit zur Führung und zur Selbststeuerung und sie haben auch Einfluss im lokalen, nationalen und internationalen Bereich.

Alejandra Londoño: „Gewaltlos gegen den Krieg“ - Das Jugendnetzwerk Red Juvenil in Medellín. Vortrag am 6.2.2010 bei der 8. Münchner Friedenskonferenz. Übersetzung: DFG-VK. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe April 2010

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